440 Beutsches Reich. (April 24.)
24. April. (Reichstag.) Sabotage der Kriegsgefangenen. Frage
der Vertagung.
Auf eine Anfrage des Abg. Dr. Heckscher betr. die von französischer
Seite erfolgten Anstiftungen der Kriegsgefangenen zur Verbreitung von
Seuchen, Schädigung der Ernte usw. teilt Generalmajor Friedrich mit: In
einem an einen franz. Kriegsgefangenen gerichteten Paket wurden in einen
Kuchen eingebacken fünf Zettel gefunden in Schlüsselschrift mit der Auf-
sorderung an die feindlichen Kriegsgefangenen zu Zerstörungen, Brand-
stiftungen, Erregung von Viehseuchen, Schädigung der Kartoffelaussaat und
der Ernte usw. Auzerdem ergibt das vorgefundene Material klar, daß es
sich um einen großangelegten Plan handelt, Deutschland wirtschaftlich schwer
zu schädigen. Zweifellos ist die Gefahr groß. Die Bevölkerung ist daber
öffentlich durch die Presse hierüber aufgeklärt worden, außerdem ist eine
verschärfte Durchsuchung aller an Kriegsgefangene gerichteten Postsachen
angeordnet worden. Sollte dies nicht genügen, so wird zu weiteren Maß-
nahmen geschritten werden. Die bisherige verschärfte Untersuchung der
Pakete hat das oben Gesagte bestätigt, daß es sich um eine weit verbreitete
Organisation handelt. (Hört, hort!) Ein Beweis, daß die franz. Regier ung
ihre Hand dabei im Spiele hat, ist aber noch nicht erbracht worden.
Auf den Vorschlag des Präsidenten, die nächste Sitzung erst am 2. Mai
abzuhalten, um der Mudgetkommission Zeit zur Erledigung ihrer Beratungen
zu lassen, erklärt Abg. Scheidemann (Soz.) zur Geschäftsordnung: Im
Namen meiner Fraktion muß ich unser Befremden und lebhaftes Bedauern.
aussprechen, daß der Reichstag heute nur versammelt gewesen ist, um sich
sofort wieder zu vertagen. Die dafür angegebenen Gründe mögen richtig
sein; trotzdem bedauern wir das außerordentlich, weil wir es für nötig
halten, daß eine gründliche Aussprache über die Probleme der
inneren und äußeren Politik jetzt eigentlich stattfinden müßte, um
Klarheit darüber zu schaffen, wohin denn der Kurs der Reichspolitik nun
gerichtet werden soll. In London, in Paris, in Newyork, in Rio de Janeiro
wird der angeblich heilige Krieg gegen deutsche Autokratie gepredigt: man
stellt uns einen langjährigen Krieg in Aussicht. Wir fürchten diese Drohung
zwar nicht. Mit großer Sorge aber erfüllt uns die Bedrohung mit dem
wirtschaftlichen Ruin. Auf der anderen Seite hat die russische Revolution.
und der Friedenswille des russischen Volkes der ganzen Welt die Aussicht
auf eine bessere Zukunft, nicht auf einen Sonderfrieden, aber auf einen
allgemeinen Weltfrieden eröffnet, der kein Volk unterdrückt und vergewaltigt,
aber alle befreit und so die Fundamente eines friedlichen Zusammenlebens
für lange Zeit sichern möchte. Dieser Gedanke der russischen Revolution
erfüllt heute Millionen auch des deutschen Volkes mit heller Begeisterung;
er stellt uns vor die greifbare Möglichkeit, auch unsererseits einen ent-
scheidenden Schritt zu tun zum Wohle des deutschen Volkes und der ganzen
gequälten Menschheit. Diesen Gedanken haben wir Ausdruck gegeben durch
den von unserer Partei gefaßten Beschluß (s. S. 419 f.). Ich bedauere, daß
die Geschäftslage es nicht möglich macht, diese Gedanken sofort im Reichs-
tage zu erörtern; ich hoffe, daß es möglich sein wird, in denkbar kürzester
Zeit über alle diese Dinge gründlich zu reden.
Abg. Ledebour (Soz. Arb.): Wir können uns mit diesem Bedauern
nicht begnügen, sondern wir verlangen, daß morgen der Reichstag zusammen-
tritt und fortlaufend alle die brennenden Fragen in Erörterung nimmt,
deren Erörterung das Volk dringend fordert. Um damit einen Anfang zu
machen, beantragen wir, auf die Tagesordnung für morgen den
Wirtschaftsplan für 1917 zu setzen. Dieser Teil des Ernährungs-