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Zunächst: was ist unter „Bundesstaat“ im Sinne dieser
Bestimmung zu verstehen. Als Bundesstaaten haben zweifellos
zu gelten die in den Artikeln 1 und 6 der Reichsverfassung
aufgeführten Staaten: vier Königreiche, sechs Grossherzogtümer,
fünf Herzogtümer und sieben Fürstentümer mit monarchischer
und drei Freie Städie mit republikanischer Verfassung.
Die Frage, ob Lauenburg als Bundesstaat im Sinne der
Reichsverfassung zu gelten habe, hat ihre praktische Be-
deutung verloren, seitdem es gemäss Artikel 1 des preussischen
Gesetzes vom 23. Juni 1876 betreffend die Vereinigung des
Herzogtums Lauenburg mit der preussischen Monarchie auf
immer mit Preussen vereinigt ist, mithin als eigener Bundes-
staat gar nicht mehr in Betracht kommen kann. Auch früher
war die selbständige Stellung Lauenburgs nicht gewährleistet,
indem die Verfassung des Reiches im Artikel 1 als einen
Staat „Preussen mit Lauenburg“ aufführte.
Zweifelhaft könnte erscheinen, ob Waldeck, das durch
die sogenannten Akzessionsverträge vom 19. Juli 1867 und
2. März 1887 seine gesamte Staatsverwaltung Preussen über-
tragen hat, sich damit seiner Stellung als selbständiger
Bundesstaat begeben hat. Meines Erachtens ist dadurch, dass
Waldeck die Ausübung eines Teiles seiner Rechte einem
anderen Bundesstaate überlassen hat, der staatliche Charakter
diesem Lande nicht entzogen worden. Schon die Möglichkeit
jederzeitiger Kündigung der Akzessionsverträge lässt erkennen,
dass Waldeck sich seine „Staatsindividualität gewahrt hat.“ !)
Im Fürstentum Waldeck sind danach Verfassungsstreifig-
keiten wohl möglich.
Zweifellos kann dagegen in Elsass-Lothringen eine Ver-
fassungsstreitigkeit nicht entstehen, weil Elsass-Lothringen ein
Bundesstaat im Sinne der Verfassung nicht ist. Dieses Land ist
eine Reichsprovinz ohne eigne Staatsgewalt, ohne Mitgliedschafts-
und Vertretungsrechte. Die Staatsgewalt übt im Namen des
Reiches der Kaiser aus. Gegen diese Auffassung spricht
nicht Artikel 5 E.G. z. B.G.B., denn die dort enthaltene Be-
I) Zorn, Staatsrecht S. 97.