Contents: Also sprach Bismarck. Band I. 1846 - 1870. (1)

Ortsgemeinden; geschichtliche Entwickelung der Ortsgemeinden. (F. 4.) 19 
die Spitze der Bürgerschaft trat, sie repräsentierte und zugleich leitete. Er führte 
gemeinschaftlich mit dem Schultheißen die Berwaltung, trat auch oft in Gegensatz zu 
diesem, um die Interessen der Gemeinde zu wahren, bis es ihm schließlich gelang, 
den gemeindeherrlichen Beamten ganz zu verdrängen und durch einen von der Gemeinde 
gewählten Vorsteher, den Bürgermeister, zu ersetzen. Hand in Hand mit dieser Befreiung 
des Rates von der Aufsicht und Leitung des Gemeindeherrn ging die Stärkung seiner 
Macht gegenüber den Bürgern; an den Ratswahlen beteiligten sich bald nur die vor- 
nehmen Klassen, in den meisten Städten trat dann das System der Selbstergänzung an 
Stelle der Wahl, und so kam es zur Alleinherrschaft einzelner ratsfähiger Geschlechter. 
Allein dieser Zustand war damals nur ein vorübergehender. Im 14. und 15. Jahrh. 
beanspruchten und erhielten fast überall die frisch aufblühenden Zünfte eine Teilnahme 
an der städtischen Verwaltung. Die Form, in der dies geschah, war eine verschiedene. 
Bald wurden ihnen bestimmte Ratsstellen vorbehalten, bald neue für sie eingerichtet, in 
einzelnen Städten verlangte man sogar, daß auch die Patrizier, welche Ratsstellen ein- 
nehmen wollten, sich der Zunftordnung eingliederten, und in anderen endlich wurde neben dem 
alten „engeren“ Rat ein weiterer aus Zunftangehörigen zur Kontrolle des ersteren gebildet. 
Ebenso wie die Zusammensetzung des Rates war die Anzahl der Ratsstellen, die 
Art und Dauer ihrer Besetzung in den einzelnen Städten verschieden geregelt. Als 
Regel galt die kurze meist einjährige Amtsdauer 1, jedoch kamen auch Ernennungen auf 
Lebenszeit vor. Der Rat und der Bürgermeister wurden teils von der ganzen Bürger- 
schaft gewählt, teils ergänzte ersterer sich selbst durch Kooptation oder er wählte auch 
bei seinem Abgange den neuen Rat. 
Die dem Rate obliegenden Funktionen ergaben sich aus dem Zwecke seiner Krekerung, 
und bestanden in der Sorge für die Wohlfahrt und das Gedeihen der Stadt. Als Obrigkeit 
hatte er das Recht der Autonomie; er erließ Statuten, Verordnungen u. s. w., regelte das 
kommunale Besteuerungswesen und das städtische Kriegswesen, welches auf der Wehrpflicht 
aller Bürger beruhte; er überkam endlich alle Befugnisse, welche früher dem stadtherrlichen 
Beamten zugestanden hatten, also besonders die Polizei und Gerichtsbarkeit.? 
So besaßen die Städte alle Befugnisse, die ihnen früher durch kaiserliche Privilegien 
verliehen waren, zu eigenem Rechte. Mit dem Sinken der kaiserlichen Macht wuchs die 
ihrige mehr und mehr, sodaß sie am Ausgange des Mittelalters schließlich als völlig 
unabhängige kleine Republiken, als Staaten im Staate erscheinen. Allein diesem Wachs- 
tum der städtischen Macht nach außen entsprach nicht eine gleiche Entwickelung im Innern. 
Der belebende frische Geist, welchen die Zunftbewegungen in die städtische Verwaltung 
hineingebracht hatten, verschwand bald, nachdem die Zünftler ihre Bestrebungen erreicht 
hatten und neben den Patriziern im Rate saßen. Die früheren Mißstände traten in 
verschärftem Maße wieder ein. Die Besetzung der vakanten Ratsstellen fand regelmäßig 
durch Kooptation der Ratsherren und, was die Macht und Unverantwortlichkeit dieser der 
Bürgerschaft gegenüber besonders stärkte, auf Lebenszeit statt.“ Sie blieben gewöhn- 
lich in den Händen bestimmter Familien, welche nur darauf bedacht waren, diese er- 
giebigen Brotstellen ihren Angehörigen zu erhalten und ihre Zahl stetig zu vermehren. 5 
Die städtischen Finanzen befanden sich daher in der trostlosesten Lage. Die omnipotenten 
Ratsherren wirtschafteten ohne jede Kontrolle der von ihnen völlig unterdrückten Bürger 
nur im eigenen Interesse, und so sanken die Einkünfte der Städte von Jahr zu Jahr, 
während vdie Schuldenlasten ins Unermeßliche wuchsen.7 
  
1 Die Ernennung zum Ratsmann auf kür- * Zum Folgenden vgl. besonders Schmoller, 
zere Zeit wird öfters als ein Charakteristikum Das Städtewesen unter Friedrich Wilhelm I., in 
dieses Amtes im Gegensatz zur Besetzung der d. Ztschr. f. preuß. Gesch., Jahrg. 1871, 1873, 
Schöffenstellen auf Lebenszeit hervorgehoben. 1874 u. 1875 (hier eitiert: Schmol ler mit Hin- 
Bgl. Tzschoppe und Stenzel, S. 447, den zufügung der Jahreszahl des betr. Jahrganges). 
Magdeburger Schöffenbrief für Görüitz v. 1304: Vgl. auch Löning, Lehrb. des deutschen 
„do wurden sie zu rate, dasz sie curen waltungerechts (Leipzig 1884), §. 31. 
  
sheppen unde ratman, die sheppen zu langer 4 Schmoller, 1871, S. 529, 1873, S. 30; 
riet, die ratman zu eine jare.“ Bezüllich Gierke, I S701 Bornhack Gesch., I, S. 141. 
der brandenburgischen Städte vgl. bes. Born- Schmoller, 1873. . . 310, 8 
hack, L, S. 51 ff * Gierke, I, S 7o. Anm. 4 S. 705, 
2 Bgl. z. B. W. Gesch., 1, S. 42 ff.. Anm. 15. 
54, 144; Schröder, S. 614 ff. * Schmoller, 1873, S. 566, 584 ff. 
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