Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

Napoleon's Anmarsch. 741 
die Empfindlichkeit des älteren Generals zu schonen hatte Gneisenau dem 
Marschbefehle an Bülow eine so höfliche Fassung gegeben, daß er fast 
wie ein unmaßgeblicher Vorschlag klang. Bülow, immer geneigt zu eigen— 
mächtigem Handeln und noch ohne Kenntniß von dem wirklichen Ausbruch 
der Feindseligkeiten, blieb unbesorgt in Lüttich und verschob die anbefohlene 
Vereinigung seines Corps bei Hannut auf den 16. Juni. Ein zweiter 
dringenderer Befehl zum Anmarsch traf ihn daher in Hannut nicht an. 
Das vierte Corps verlor in einem Zeitpunkte, da jede Minute kostbar 
war, einen vollen Tag und konnte am 16. nicht mehr bei der Armee 
eintreffen. Die Lage der drei preußischen Corps, die sich in der Gegend 
von Sombreffe zusammenzogen, gestaltete sich also sehr ernsthaft, und ob- 
wohl das Blücher'sche Hauptquartier ungestüm nach einer raschen Ent- 
scheidung verlangte, so wurde doch am Morgen des 16. ernstlich die Frage 
erwogen, ob man nicht besser thue die Armee weiter nördlich, näher an 
das rechts rückwärts stehende englische Heer heranzuführen; dort konnte 
die Vereinigung der Verbündeten sich ungestört vollziehen. 
Während Gneisenau die Absicht Napoleon's sogleich durchschaute, blieb 
Wellington bei seiner vorgefaßten Meinung, daß der Anmarsch der Feinde 
in mehreren Colonnen erfolgen werde, und befürchtete einen Angriff auf 
seiner rechten Flanke, auf der Straße von Mons her. Die erste Nach- 
richt von den Gefechten bei Charleroi ließ er unbeachtet, da er dort nur 
einen Theil der Armee Napoleon's vermuthete; und auch als er endlich 
am Abend des 15. von Brüssel aus, einen ganzen Tag später als Blücher, 
die Concentration seiner Armee anordnete, befahl er nicht einfach den 
Linksabmarsch des gesammten Heeres nach dem wichtigen Knotenpunkte 
OQuatrebras, wo die Straßen von Charleroi und Namur nach Brüssel 
zusammentrafen und eine Vereinigung mit den Preußen möglich war, 
sondern gab seinen Corps die Richtung auf die fünf Meilen lange Linie 
von Enghien im Westen über Nivelles nach Genappe im Osten, so daß 
die englische Armee nur mit ihrer äußersten Linken die Straße nach Char- 
leroi berührte. Die völlig grundlose Sorge vor einer Umgehung im Westen 
bestimmte alle Anordnungen des englischen Feldherrn; seine Reserven, die 
nach Genappe, auf die Straße von Charleroi marschiren sollten, ließ er 
am 16. fünf Stunden lang bei Waterloo rasten, weil er im Zweifel war, 
ob er sie nicht noch weiter im Westen verwenden sollte. Zum Glück be- 
setzte Prinz Bernhard von Weimar mit seiner nassauischen Brigade am 
Abend des 15. eigenmächtig den Kreuzweg von Quatrebras; aber selbst dieser 
schwache vorgeschobene Posten des linken Flügels der Engländer stand noch 
eine starke Meile rechts rückwärts hinter der preußischen Aufstellung und 
vermochte eine Umgehung der rechten Flanke Blücher's schwerlich zu verhindern. 
Noch verderblicher wurde, daß der Herzog sich selber und den preu- 
ßhischen Feldherrn gründlich täuschte über die Stellung, welche sein Heer 
am 16. einnehmen konnte. Am 15. um Mitternacht ließ er an Blücher
	        
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