Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Verhandlungen über Wangenheims Vorschläge. 317 
somit das Wohl des Volks gefährden würde.“*) Das ganze Land hallte 
wider von jenem ungeheueren Geschrei, das seitdem fast alle Kämpfe des 
deutschen Parlamentarismus begleitete und keineswegs dazu beitrug, die 
Achtung des Auslandes für diese Stürme im Wasserglase zu erhöhen. Ein 
wildes Pamphlet bedrohte den König bereits mit dem Schicksal seines 
Ahnherrn, des landflüchtigen Herzogs Ulrich, und als ein anonymer 
Schriftsteller für die Vorschläge der Krone aufzutreten wagte, ward seine 
Schrift in Stuttgart an den Schnappgalgen genagelt. 
Jedermann mußte Partei ergreifen. Auch die vielen berühmten 
Schwaben außerhalb des Landes sendeten in Briefen oder Druckschriften 
ihr Urteil in die Heimat, und es bezeichnet die heillose Verworrenheit des 
Streites, daß die Todfeinde Schelling und Paulus sich beide für die alte 
Verfassung aussprachen, jener weil ihm das historische Recht ehrwürdig 
war, dieser weil er in der altständischen Libertät die konstitutionelle Frei- 
heit zu erkennen glaubte. Hegel dagegen kämpfte mit sophistischer Ge- 
wandtheit für Wangenheim als den Vertreter der modernen Staatsidee 
und erwies, ganz im Geiste der rheinbündischen Bureaukratie, daß erst 
durch den Untergang des verlebten deutschen Reichs wirkliche „deutsche 
Reiche", die neuen Königreiche, entstanden seien. Mit rührenden Worten 
beschwor der treuherzige Justinus Kerner seinen Herzensbruder Uhland, 
abzulassen von dem „Kassen= und Kastenwesen der Schreiber und Rechts- 
herren"“. Es war vergeblich. Als Wangenheims Freund Rückert sodann 
den Poeten der Altrechtler zu einem Dichterwettstreit herausforderte, da 
war der Schwabe in der vorteilhaften Lage, die warmen Gefühle der 
Gemütspolitik gegen die nüchternen Erwägungen der Staatsklugheit zu 
verteidigen und bereitete dem Franken eine poetische Niederlage, die in 
Württemberg als ein politischer Triumph gefeiert wurde. Was half es, 
daß die beiden besten politischen Köpfe aus der Jugend des Landes, 
Friedrich List und Schlayer, den Minister eifrig unterstützten? Im Land- 
tage zählte Wangenheim nur zwei Anhänger, den Juristen Griesinger 
und den Buchhändler Cotta, der seinen kleinstädtischen Landsleuten bald 
verdächtig ward, weil er als ein Geschäftsmann großen Stils über ihren 
engen Gesichtskreis hinausblickte. Das schwerste Hindernis der Verstän- 
digung blieb doch der König selber. Kein Zweifel, daß er jetzt ehrlich den 
Frieden suchte; aber wer wollte ihm trauen? 
Da räumte ein freundliches Geschick dies Hemmnis plötzlich aus 
dem Wege. Am 30. Oktober 1816 starb der König, von niemand be- 
weint. Den Nachfolger König Wilhelm empfing das Frohlocken des ganzen 
Landes. Schon seit Jahren pflegte ihn das treue Volk mit dem guten 
Herzog Christoph zu vergleichen, weil er gleich diesem unter einem tyran- 
nischen Vater eine freudlose Jugend verleben mußte. Von der Gut- 
*) Graf Waldeck, Vorstellung an die Höfe von Österreich, Preußen, Dänemark und 
England, 31. August 1816. 
 
	        
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