Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Zweiter Band. (2)

1851 Erwägung einer Verfassungsänderung in Preußen. 105 
Nicht amtlicher Weise im Ministerium, wohl aber in der 
persönlichen Umgebung des Königs hatten ähnliche Gedanken 
bereits feste Form gewonnen. An die Stelle einer vertragsmäßig 
vereinbarten Verfassung sollte ein königlicher Freibrief, an die 
Stelle der, wie man sich ausdrückte, unorganischen Kopfzahl— 
wahlen sollten die Organe der historischen Stände treten; 
für das Interesse des Staats hätte der König, die Stände 
aber für ihre ständischen Interessen zu sorgen; genug, nicht 
wie Fürst Schwarzenberg, auf eine Nachahmung des napo- 
leonischen Despotismus, sondern auf eine Rückkehr zu dem 
Systeme des Vereinigten Landtags von 1847 nahm man 
Bedacht. Doa dieses der Ausdruck der eigensten Anschauungen 
Friedrich Wilhelms gewesen, so war die Versuchung für den 
Monarchen stark, denn an eine revolutionäre Auflehnung 
gegen die Maaßregel wäre damals in Preußen so wenig wie 
in Osterreich zu denken gewesen. Auf der andern Seite war 
hier kein augenblicklicher Nothstand vorhanden, keine Unruhe 
im Lande, kein schwerer Streit mit den Kammern; es fehlte 
an jedem Anlaß und Vorwand zum Staatsstreich, außer der 
persönlichen Ansicht einiger einflußreicher Männer, daß die 
Verfassung von 1847 besser sei als die von 1850. Nun aber 
hatte bei dem Erlaß der letztern der König in feierlicher 
Weise den Kammern für die verbessernde Revision der Ver- 
fassung gedankt, ihnen erklärt, daß sie ihm dadurch ein könig- 
liches Regiment auf Grund der Verfassung möglich gemacht, 
und dann durch eidliches Gelöbniß der Verfassung seine 
Sanction ertheilt. War es denkbar, daß er zwei Jahre nachher 
diese Erklärungen als offenbare Irrthümer zurücknähme, und 
daraufhin sich von seinem Eide lossagte? Der König wünschte 
auch einen seiner liberalen Freunde darüber zu hören, und
	        
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