Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Zweiter Band. (2)

1851 Reactionäre Verwaltung in Preußen. 107 
graphen. Eine höchst erfolgreiche Regel wurde dahin fest- 
gesetzt, daß eine lange Reihe jener Artikel, namentlich im 
zweiten Titel der Verfassung „von den Rechten der Preußen“ 
allgemeine Grundsätze ausspreche, die eine bindende Kraft 
erst durch specielle Ausführungsgesetze erhalten könnten, so 
daß bis zu deren Erlasse die betreffenden frühern Gesetze in 
Kraft blieben. Nach dieser einfachen Formel war der Gleich- 
heit vor dem Gesetze, der Aufhebung der Standesvorrechte, 
der Freiheit des religiösen Bekenntnisses, der Bildung neuer 
Religionsgesellschaften mit öffentlicher Religionsübung, der 
Aufhebung der gutsherrlichen Polizei u. s. w. die gesetzliche 
Bedeutung entzogen. Ich versage mir, der weitern Entwick- 
lung dieser Kunst der Abschaffung eines Gesetzes durch seine 
Interpretation auf den einzelnen Gebieten der Verwaltung 
näher nachzugehen: für unsern Zweck reicht die Bezeichnung 
der damit durchgesetzten Ergebnisse hin. Anders als in 
Osterreich theilten sich hier die Bureaukratie, der Adel und 
die Kirche ziemlich gleichmäßig in den Gewinn. Gegen die 
gesetzwidrige Verfügung eines königlichen Verwaltungsbeamten 
gab es thatsächlich keine Abhülfe mehr als die Beschwerde 
bei dem vorgesetzten Minister; das Recht der Polizeibehörden, 
Verordnungen mit Strafandrohung zu erlassen, wurde von 
jeder Schranke entbunden; die Bezirksregierungen griffen kraft 
ihres Oberaufsichtsrechts in die Selbstverwaltung der Städte 
mit, ohne und gegen Gesetz nach freiem Ermessen ein, und 
während das Gesetz bei einem Mißbrauch der Preßfreiheit den 
Richter bevollmächtigte, in gewissen Fällen dem Buchhändler 
oder Buchdrucker die Concession zu entziehen, so interpretirte 
Herr von Westphalen, das Gesetz sage nicht, daß allein in 
diesen Fällen die Entziehung statthaft sei, und ließ demnach
	        
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