Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Zweiter Band. (2)

1855 Politik des Kaisers Napoleon. 231 
Für das Streben Deutschlands und Italiens nach nationaler 
Einheit war es ein gefährlicher Moment. Ein enges austro- 
französisches Bündniß wäre die Vernichtung ihrer Hoffnungen 
auf lange Zeit gewesen. Zum Glücke für beide Völker war 
Drouyn de Lhuys, so wenig wie vier Jahre früher Fürst 
Schwarzenberg, dazu bestimmt, den Geschicken Europas die 
entscheidende und bleibende Richtung zu geben. 
Allerdings stimmte Kaiser Napoleon so weit mit seinem 
Minister überein, daß er, der keine militärische Ader in sich 
trug, nicht wie sein gewaltiger Oheim auf Welteroberung 
sann. Im Ubrigen aber standen seine Wünsche und Ideale 
zu jenen des Ministers in schneidendem Gegensatz. Dem 
Oheim war er darin ähnlich, daß ihm jeder französische 
Patriotismus fremd war: im Exil herangewachsen, auf dem 
Augsburger Gymnasium erzogen, in der deutschen Schweiz 
militärisch gebildet, als Prätendent und Verschwörer nach 
Italien, England, Amerika verschlagen, in Frankreich nur mit 
den Mauern seiner Gefängnisse bekannt geworden, war er in 
seinen Anschauungen und Gefühlen Kosmopolit, und Frank- 
reichs Regierung nicht das Ziel seines Strebens, sondern 
Mittel zum weitern Zweck geworden. Er war ein guter 
Artillerist und ein gründlicher Kenner seiner Familien- 
geschichte; sonst war nach seinem unsteten Lebensgang seine 
Bildung lückenhaft, und die wichtigste Vorschule des Staats- 
mannes, ein tüchtiges historisches Wissen von der Ent- 
wicklung und den Bedürfnissen der europäischen Völker, 
fehlte ihm ganz und gar. So hatte er in den langen Jahren 
seines Flüchtlingslebens ohne den Zügel fester Beschäftigung 
seiner rastlos brütenden Phantasie freien Lauf gelassen, überall 
in den bestehenden Zuständen die ärgsten Mängel wahrzu-
	        
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