Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Zweiter Band. (2)

1858 Ministerielle Abgeordneten-Wahlen in Preußen. 305 
republikanischen Idealen nichts spüren ließ. Bei dem Beginne 
der allgemeinen Landtagswahlen gaben die Programme das 
genaue Gegenbild zu der Praxis der bisherigen Verwaltung; 
sie richteten sich durchaus auf die Punkte, an denen man den 
Druck des alten Systems besonders schmerzhaft empfunden 
hatte, gegen die polizeiliche Willkür, die verfälschende Aus- 
legung der Gesetze, die kirchliche Engherzigkeit und Ver- 
folgungssucht, die parteiische Begünstigung der Ritterguts- 
besitzer, die arge Beeinflussung der Parlamentswahlen. Das 
Alles konnte, mit der Programmrede des Regenten verglichen, 
als ein allerdings verstärkter Widerhall derselben gelten. Ein 
anderer, nicht minder bezeichnender Zug in dieser Wahlbewegung 
war die bereitwillige Zustimmung, als die Minister sehr bald 
erkennen ließen, daß die Abstellung langjähriger Mißbräuche 
nicht leicht, daß die Verwirklichung auch berechtigter Wünsche 
schwieriger als ihr Aussprechen sei, daß man also der Regie- 
rung vertrauen, aber nicht durch hastiges Überstürzen die 
Aufgabe erschweren möge. Alle Welt war dazu bereit; die 
Aufforderung: nur nicht drängen, wurde ein Losungswort 
der liberalen Partei. Uberall gaben die Freunde des 
Ministeriums, die altliberalen Führer, den Ton an. Man 
wollte die feudalen Gegner der Regierung entfernen, aber ihr 
durch die Wahl extremer Freiheitsmänner keine Verlegenheit 
bereiten. Das Ergebniß war dann eine gründliche Niederlage 
der feudalen Partei, eine vollständige Beseitigung der Demo- 
kraten und eine überwältigende Mehrheit für das neue Mi- 
nisterium. Zum ersten Male seit dem Beginne des con- 
stitutionellen Lebens in Deutschland rechneten liberale Wähler 
und Volksvertreter es sich zur Ehre, ministerielle Partei zu 
heißen. Allerdings gab es Ausnahmen von dieser Stimmung 
v. Sybel, Begründung: d. deutschen Reiches. II. 20
	        
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