Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Zweiter Band. (2)

448 Verfassungsstreit in Berlin und Frankfurt. 1862 
jedes vernünftigen Grundes entbehre. Übrigens war Gortscha- 
koff von der französischen Allianz noch weit entfernt, da Kaiser 
Alexander ein stets wachsendes Mißtrauen gegen Napoleon's 
revolutionäre Tendenzen an den Tag legte. Andrerseits hatte 
in die Beziehungen mit Osterreich die russische Anerkennung 
Italiens einen neuen tiefen Spalt gerissen, und die damaligen 
Wirren in Serbien waren nicht geeignet, die beiderseitigen 
Stimmungen zu verbessern. Dies Alles lag also für Preußen 
so günstig wie möglich. 
In höchst positiver Weise sprach sich sodann gegen Herrn 
von Bismarck Kaiser Napoleon über die deutschen Verhältnisse 
aus. Mit Verehrung redete er von der würdigen Persön= 
lichkeit König Wilhelm's; er bedauerte die Schwierigkeiten, 
welche derselbe in innern Fragen bei dem Landtage fände: 
nach seiner Ansicht komme Alles auf die allgemeine Richtung 
der Regierungspolitik an; sei damit das Volk einverstanden, 
so brächten Streitigkeiten über Einzelfragen keine Gefahr; 
ihm scheine, daß Preußen durch die Natur der Dinge auf 
eine Umformung des deutschen Bundes angewiesen sei, und 
wenn es diese zum Ziele seiner Bestrebungen mache, über 
alle sonstigen Nöthe leicht Herr werden könnte. Frankreich 
könne sich mit jeder neuen Gestaltung Deutschlands befreunden, 
mit einziger Ausnahme des sogenannten Siebzig-Millionen- 
Reiches, des Eintritts von Gesammtösterreich in den deutschen 
Bund, weil durch diesen das Gleichgewicht Europas eine 
vollständige Störung erleiden würde. Dies Alles klang gut 
preußisch; wie weit es so bleiben würde bei dem wirklichen 
Eintritt eines solchen Verlaufs, war freilich zu erwägen. 
Offenbar aber hatte zur Zeit Preußen keine Parteinahme 
Napoleon's für Osterreich zu besorgen.
	        
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