1862 Bismarck's Auffassung der Streitfrage. 459
andere Gesetz, kommt auch das Etatsgesetz durch die überein-
stimmende Genehmigung der Krone und der beiden Häuser
zu Stande. Vor erfolgter Zustimmung der drei Factoren
hat der Beschluß eines Hauses nur den Werth einer Meinungs-
äußerung, aber keine bindende Kraft. Obgleich das Herren-
haus auf die Formirung des Etats geringern Einfluß hat
als die beiden andern Factoren, so ist doch sein schließliches
Votum über den Gesammtetat von gleichem Gewicht wie
jenes des Hauses der Abgeordneten. Denn nach ausdrück-
licher Vorschrift der Verfassung haben die Mitglieder beider
Häuser gleichmäßig den Charakter von Vertretern des ganzen
Volkes.
Kommt das Etatsgesetz rechtzeitig nicht zu Stande, so
kann nach strengem Recht nicht die Fortdauer des vorig-
jährigen Gesetzes angenommen werden, denn dieses ist mit
dem letzten Tage seines Jahres erloschen. Es kann über-
haupt nach strengem Recht gar keine Einnahme noch Aus-
gabe im neuen Jahre Statt finden, gleichviel ob die einzelnen
Posten im Abgeordnetenhause angenommen oder abgelehnt
worden sind.
Da aber der Staat ohne Ausgaben keinen Tag leben
kann, während er doch fortleben soll und fortleben muß, so
erzwingt ein gebieterischer Nothstand, daß irgend Jemand die
erforderlichen Ausgaben leistet, und wieder ergibt sich aus
der Nothwendigkeit der Verhältnisse, daß dieser Jemand kein
Anderer als die königliche Regierung sein kann, selbst abgesehen
von dem Verfassungs-Artikel, der ihr für einen dringenden
Nothstand ein provisorisches Verordnungsrecht beilegt.
Ohne Zweifel unterliegen alle Theile, und also auch die
Regierung, der Verpflichtung, das Mögliche zu rascher