Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Zweiter Band. (2)

460 Verfassungsstreit in Berlin und Frankfurt. 1862 
Beendigung dieses Nothstandes, zu baldigster Erlangung eines 
durch die drei Factoren festgestellten Etatsgesetzes zu thun. Die 
Regierung wird also für diesen Zweck während der budget- 
losen Zwischenzeit die frühern Beschlüsse des einen wie des 
andern Hauses möglichst respectiren, ohne jedoch ihnen eine, 
noch nicht vorhandene, bindende Kraft oder eintretendes Falls 
eine stärkere Berücksichtigung als den Bedürfnissen der Landes- 
wohlfahrt zuzuerkennen. — 
Ülberblickt man diese Sätze und vergleicht sie mit den 
betreffenden Vorschriften der Verfassung, so wird man nicht 
behaupten können, daß hier eine Umdeutung der Verfassung 
nach der Art des Herrn von Westphalen unter Friedrich 
Wilhelm IV. Statt finde. Es ist im Gegentheil der positive 
Wortlaut des Gesetzes, welcher dem entgegengehalten wird, was 
wir Andern damals den Geist des Gesetzes nannten. Aller- 
dings ist es einlcuchtend, daß bei einem solchen System die 
Macht des Unterhauses über den Staatshaushalt und damit 
über die Staatsregierung sehr viel beschränkter als in England 
ist. Eine böswillige Regierung kann damit das Budgetrecht 
des Unterhauses zum leeren Scheine machen. Dieser Satz 
ist ebenso wahr, wie der entgegengesetzte, daß das englische 
Unterhaus vermöge seines Budgetrechts Krone und Oberhaus 
jedem seiner Befehle zu unterwerfen vermag. Die Bürgschaft 
gegen solche Extreme liegt in der wachsenden Einsicht aller 
Theile, daß für einen Jeden verständiges Zusammenwirken 
heilsamer ist als herrschsüchtiger Eigenwille. Es war Preußens 
und Deutschlands Glück, daß diese Einsicht nicht in den 
heißesten Augenblicken des Conflicts, und nicht im Vollgenuß 
der glänzendsten Siege aus dem Geiste des Königs und seines 
großen Ministers verschwand. Beide waren unerschütterlich in
	        
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