1862 Bismarck's Gespräch mit dem Grafen Karolyi. 465
weiterhin Bismarck so häufig durch die unbedingte Offen=
legung seiner Anschauungen und Absichten die diplomatische
Welt in Erstaunen setzte.
In dem gelassenen Tone, in welchem ein Geschicht-
schreiber die Ereignisse alter Zeiten berichtet, erzählte hier
Bismarck dem Grafen die Geschichte der deutschen Zukunft.
Unsere Beziehungen zu Osterreich, sagte er, müssen besser
oder schlechter werden; wir wünschen von Herzen das Erstere,
müssen uns aber bei Osterreichs Verhalten auf das Letztere
vorbereiten. Er erwähnte Osterreichs feindselige Thätigkeit in
den Preußen benachbarten Staaten, welche in Berlin jede
Sympathie für Osterreich vernichten müsse. Nun, bei einem
französischen Angriffe auf Osterreich, meinte Karolyi, werden
die beiden Mächte doch unter allen Umständen verbunden
bleiben. Bismarck bat ihn darauf dringend, einem so gefähr-
lichen Irrthum in Wien nach Kräften entgegen zu treten; es
werde ausschließlich von Osterreichs deutscher Politik ab-
hängen, ob die alte Intimität sich wieder herstellen lasse;
wenn nicht, so würde ein Bündniß Preußens mit einem
Gegner Osterreichs so wenig ausgeschlossen sein, als im
entgegengesetzten Falle eine feste und treue Verbindung beider
Mächte gegen gemeinschaftliche Feinde. Österreich habe die
Wahl, seine gegenwärtige antipreußische Politik mit dem Stütz-
punkt einer mittelstaatlichen Coalition fortzusetzen, oder eine
ehrliche Verbindung mit Preußen zu suchen. Zu letzterer zu
gelangen, sei Preußens sehnlichster Wunsch; sie könne aber
1) Bekanntlich hat Bismarck, nachdem durch eine österreichische
Indiscretion der Nürnberger Correspondent einen Bericht über diese
Gespräche gegeben hatte, am 14. Januar seinerseits durch einen Erlaß
an die deutschen Missionen eine Darstellung derselben veröffentlicht. Die
Differenzen der beiden Berichte sind für die Hauptsache ohne Belang.
v. Sybel, Begründung d. deutschen Reiches. II. 30