Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Zweiter Band. (2)

474 Polnische Wirren. 1857 
die größere Hälfte des culturfähigen Bodens im Königreich 
umfaßten, zählte man etwas über 5000 mit ungefähr 16000 
Beamten. Die letzteren waren durchgängig aus dem kleinen 
Adel, der Schlachta, entnommen, meist vermögens= und bildungs- 
lose Leute, von rohem Dünkel gegenüber den Bauern, in 
blinder Unterwürfigkeit gegen den Grundherrn, dabei aus- 
nahmslos hitzige Patrioten und haßerfüllt gegen Russen, 
Deutsche und Juden. Diese Gesinnung theilte mit ihnen 
von Grund des Herzens der einzige sonst auf dem Lande 
noch einflußreiche Stand, der katholische Klerus, welchem die 
russische Regierung zwar seine reichen Einkünfte gelassen, sonst 
aber vielfache Kränkung seiner Sonderrechte und Herrschafts- 
gelüste zugefügt hatte. 
Schon längst war man in Petersburg auf diese traurigen 
Zustände aufmerksam geworden, und bereits Kaiser Nikolaus 
hatte verschiedene Anordnungen zur Besserung der Dinge ge- 
troffen, jedoch durchgreifende Maaßregeln nicht gewagt, weil 
er Bedenken gegen die Befreiung der russischen Bauern hatte, 
und doch diesen nicht versagen konnte, was er den polnischen 
gewährte. Als dann aber sein Nachfolger für Rußland die 
Beseitigung der Leibeigenschaft beschloß, gedachte er sofort 
auch seiner armen polnischen Unterthanen. Eine seiner ersten 
Maaßregeln war behufs materieller Hebung des Ackerbaus die 
Gestattung eines großen landwirthschaftlichen Vereins, mit 
einem gewählten Centralausschuß in Warschau und Zweig- 
vereinen in allen Provinzen des Königreichs, eine Organisation, 
die unter Paskiewitsch geradezu unerhört und undenkbar ge- 
wesen wäre. Dann sprach im Jahre 1856 ein Ukas den 
Willen des Kaisers aus, daß die Frohnden und Natural- 
dienste in einen festen Geldzins zu verwandeln seien, zunächst
	        
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