476 Polnische Wirren. 1857
Auf die vom Kaiser angeregte Bauernfrage blickten sie mit
sehr getheilter Stimmung. Sie sahen darin vor Allem den
Wunsch der Regierung, die Anhänglichkeit der Bauern für
sich zu gewinnen, sodann die Wahrscheinlichkeit schwerer Ver-
mögensverluste für den Adelj sie beschlossen also, die Sache
in die eigene Hand zu nehmen, sie in möglichst glimpflicher
Weise abzumachen und bei den Bauern den Dank für die
Wohlthat selbst zu gewinnen. Die rothe Partei schenkte
diesem langsamen und gewundenen Vorgehen lediglich eine
stille Verachtung. Die heilige Sache der demokratischen Re-
volution verwerfe die halben Maaßregeln; die einzige Auf-
gabe bestehe darin, jeden Gegner so rasch wie möglich nieder-
zuschlagen, und auch der polnische Adel werde zu erwägen
haben, ob er Freund oder Gegner sein wolle. Also nicht
auf Verfassungsexperimente, sondern auf Rüstung und Waff-
nung komme es an. Zu diesem kurzen Programm bekannte
sich die Masse der kleinen Schlachtizen, soweit sie nicht in
den Dienst der Magnaten getreten waren, die Mehrzahl der
Kaufleute und Handwerker in den Städten, ein großer Theil
des Pfarrklerus und der Klosterleute, und fast die ganze
Jugend der gebildeten Classen. Einstweilen vermieden die
beiden Parteien übrigens den offenen Bruch: denn die Wcißen
wünschten auch in den Städten populär zu bleiben, und die
Rothen bedurften für ihre Rüstungen den Einfluß und die
Geldmittel der Grundbesitzer.
Ein wesentliches Moment für ihrer Aller Bestrebungen
bildeten damals die innern Zustände des russischen Reiches
selbst. Die demokratische Zeitströmung hatte durch den
Bankerott des absolutistischen Systems im Krimkrieg auch
dort Eingang und Anhänger gefunden. Zahlreiche Edelleute