Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Zweiter Band. (2)

488 Polnische Wirren. 1861 
Verräther seines Volkes, der es mit Schmeichelworten an das 
russische Joch gewöhnen wollte. Trotzdem arbeitete der 
Minister unablässig an seinen Reformen weiter, und wurde 
durch den Statthalter, dessen volles Vertrauen er gewonnen 
hatte, nach Kräften unterstützt; da wollte sein Unstern, daß 
Fürst Michael Ende Mai plötzlich erkrankte, und nach wenigen 
Leidenstagen am 30. starb. Wielopolski's ganze Stellung 
kam damit in Frage. 
In Petersburg war die Verlegenheit groß, dem Fürsten 
einen geeigneten Nachfolger zu finden, und es ist nicht zu 
läugnen, die dann auf einander folgenden Wahlen fielen 
höchst unglücklich aus. Zuerst der ehemalige Kriegsminister, 
General Suchosanett, war ein siebzigjähriger Haudegen, der 
keine andere Vorstellung vom Regieren hatte, als daß er 
mit seinen 50 000 russischen Soldaten diese unverbesserlichen 
Polacken schon in Ordnung halten wollte, jeden Verdächtigen 
einsperren oder deportiren ließ, und die Civilbehörden als 
nicht vorhanden betrachtete. Im August kam dann Graf Lambert 
an seine Stelle, ein halb invalider General von französischer 
Abstammung und Bildung, über die polnischen Zustände völlig 
unwissend, mit dem Auftrag ausgestattet, zur Erhaltung der 
Ruhe und Ordnung, wenn nöthig, den Belagerungsstand 
zu erklären, seinerseits aber von dem Gedanken erfüllt, nicht 
bloß in Polen, sondern auch in Frankreich populär zu werden, 
und als guter Katholik eifrig bestrebt, den Beifall des römi- 
schen Klerus zu gewinnen, so daß sehr bald an die Stelle 
der Säbelherrschaft eine schlaffe und schwankende Anarchie 
trat. So blühte immer üppiger der Weizen des revolutio- 
nären Nationalcomité's bei der steigenden Erbitterung der 
Volksmassen und der elenden Unbehülflichkeit der Regierung.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.