Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Zweiter Band. (2)

506 Preußen und Rußland. 1863 
Überzeugung durchdrungen, daß die Interessen beider Regie- 
rungen durch jede polnische Schilderhebung gleichmäßig ge- 
fährdet sind, und daß jede Emancipation des polnischen 
Elements von der Autorität des Kaisers ihre Wirkungen nicht 
auf die Grenzen des Königreichs beschränken, sondern ebenso 
sehr die Sicherheit der benachbarten königlichen Provinzen, als 
diejenige der westlichen Gouvernements des Kaiserreichs ge- 
fährden wird. Unserer Ansicht nach ist demnach die Stellung 
beider Höfe der polnischen Revolution gegenüber sachlich die- 
jenige zweier Bundesgenossen, die von einem gemeinschaftlichen 
Feinde bedroht werden.“ Es sei also zu verabreden, daß die 
beiderseitigen Truppenführer an beiden Seiten der Grenze ange- 
wiesen würden, einander jede zur Herstellung der Ruhe und Über- 
wältigung des Aufruhrs erforderliche Unterstützung zu leisten. 
Wer damals in Europa um sich blickte, hätte Anlaß 
gehabt, einen solchen Schritt für ein vermessenes Wagniß zu 
erklären. Denn einstimmig jubelte die Presse aller Cultur- 
länder der polnischen Erhebung zu; einstimmig war das Ver- 
dammungsurtheil über die russische Tyrannei, welche jetzt 
durch eine gesetzwidrige Recrutirung ein duldendes Volk in 
den Verzweiflungskampf gejagt hätte. Die Strömungen, 
die sich sonst neutralisirten, die liberale, die klerikale, die 
nationale, hier wirkten sie zusammen und hatten den Beifall 
der öffentlichen Meinung und energische Vertreter bei den 
mächtigsten Regierungen für sich. Es gehörte eine sichere 
Entschlußkraft dazu, diesem allgemeinen Drange entgegen zu 
treten, und sich offen an die Seite des völlig vereinzelten 
und gemiedenen Rußland zu stellen. 
Eben diese Verhältnisse verschafften aber dem preußischen 
General bei Kaiser Alexander eine doppelt gnädige Aufnahme.
	        
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