Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Zweiter Band. (2)

1863 Schreiben des Zaren an König Wilhelm. 531 
wünschte, so schien es doch unerläßlich, sich auf ihn vor- 
zubereiten. Die Begeisterung seines Volkes stählte seinen 
Muth; die Mobilmachung seines Heeres wurde in jeder Weise 
beschleunigt; am 1. Juni wandte er sich in eigenhändigem, 
durch den preußischen Militärattaché, Oberst von Loen, über- 
brachtem Schreiben an den von ihm verehrten Oheim, den 
in der polnischen Sache ihm doppelt nahe verbundenen König 
von Preußen:). Nach kurzer Darlegung der Verhältnisse, 
also des Herandrohens eines Kriegs, bei dem Preußen schwer- 
lich unberührt bleiben könne, fragte er gerade heraus: „wie 
faßt Ihr bei dieser Lage die Pflichten und Interessen Deutsch- 
lands auf? Niemals wären bei einer richtigen Haltung Oster- 
reichs die Westmächte so weit vorgeschritten. Kommt es zum 
Bruch, was wird Euer Verfahren sein? was erwartet Ihr 
von Deutschland? was seht Ihr bei Osterreich voraus? Ich 
weiß, daß ich auf Euch rechnen kann, wie Ihr auf mich. In 
welchem Maaß und in welchen Fällen werden Euere Interessen 
Euch zu activer Mitwirkung veranlassen? Zwischen uns gibt 
es kein Mißtrauen. Ich bedarf der Kenntniß Euerer Ent- 
schlüsse, um den ganzen Umfang meiner Stellung, ihrer Aus- 
sichten, ihrer Pflichten, ihrer vielleicht nöthigen Opfer zu 
übersehen. Ich würde glücklich sein, wenn Euere weise Er- 
wägung Cuch auf's Neue zu der ruhmreichen Waffenbrüderschaft 
bestimmte, die unsere beiden Völker einst verbunden hat, und 
wenn Euer Einfluß auch Österreich diesem für Alle nöthigen 
Vertheidigungsbunde zuführte. Es wäre kindisch, sich zu 
1) Ich habe in der ersten Auflage des Buchs über diese Correspondenz 
nach Actennotizen berichtet, die, wie ich jetzt nach Einsicht der Originale 
wahrgenommen, in der Hauptsache richtig, aber in einen falschen chrono- 
logischen Zusammenhang gebracht waren. 
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