540 Preußen und Rußland. 1863
wollte dem französischen Kaiser keinen Anlaß zum Zorne
geben.
Um so lebhafter aber war nach der so plötzlich erfolgten
Enttäuschung der Verdruß in Petersburg. Die russische Armee
war jetzt vollständig gerüstet, abgesehen von den orenburger,
kaukasischen und sibirischen Truppen, über 400000 Mann
stark, wovon beinahe die Hälfte in Lithauen, Polen und
Volhynien stand, und vollzog soeben eine neue Aushebung von
150000 Mann. Die Versuchung lag nahe, auf die Gedanken
des 1. Juni zurückzugreifen, und bei der ersten feindseligen
Regung der Westmächte der Gefahr durch einen überwältigen-
den Angriff auf Osterreich zuvor zu kommen. Wir dürfen
annehmen, daß dagegen vor Allem Preußens ablehnende
Haltung in das Gewicht fiel, und das russische Cabinet zu
dem Entschluß führte, in fester Wappnung, abwartend den
Ereignissen entgegen zu sehen.
Auf preußischer Seite hat damals außer dem Könige
und Bismarck kein anderer Mensch von der vertraulichen
Correspondenz der beiden Monarchen etwas erfahren. Bei
dieser strengen Geheimhaltung hatte man natürlich auf Oster=
reichs Dankbarkeit keinen Anspruch. Aber eine Stimmung
besonderer Art mußte es doch bei dem Könige hervorrufen,
als jetzt von Wien aus Eröffnungen ebenso überraschendes
Inhalts und nicht eben preußenfreundlicher Tendenz an ihn
gelangten.