Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Sechster Band. (6)

1866 Günstige Stimmungen in Kurhessen und Nassau. 9 
Preußen erfuhr es nicht bloß in den süddeutschen Staaten, 
sondern auch in den annectirten Landschaften des Nordens. 
Wir folgen hier nicht der geographischen Lage, sondern der 
Abstufung der Stimmungen. 
Glimpflich genug verliefen sich die Dinge in Nassau und 
Kurhessen. In beiden kleinen Staaten hatte eine halb polizei- 
liche halb pfäffische Willkürherrschaft so schwer auf der Be- 
völkerung gelastet, daß ein Ereigniß, welches deren Träger 
mit einem Schlage entfernte und eine für den Augenblick 
dictatorische aber einsichtige und wohlwollende Verwaltung 
an die Stelle setzte, von der großen Mehrheit mit Freude 
begrüßt wurde. Wohl blieb in Kurhessen auch nach der 
Beseitigung des Kurfürsten die Erinnerung an die tausend- 
jährige Eigenart des ruhmreichen chattischen Stammes lebendig, 
und auch die leitenden Männer der preußischen Partei, am 
Eifrigsten der alte constitutionelle Vorkämpfer, Friedrich Otker, 
wünschten lebhaft die Bewahrung einer gewissen provinzialen 
Selbstverwaltung und Volksvertretung, des kurhessischen 
Staatsschatzes, und der unbeschränkten Competenz der Gerichte. 
Die Verhandlungen darüber zogen sich lange und nicht ohne 
heftige Erregung hin. Grundsätzliche Widerspenstigkeit zeigte 
sich jedoch in Kurhessen nur in dem Kreise der einst von 
Hassenpflug und Vilmar organisirten Partei, deren geringe 
Stärke wir früher kennen gelernt haben. Als thätige Genossen 
hatte sie jetzt noch eine Anzahl eifriger Pfarrer, deren fanati- 
sche Rechtgläubigkeit trotz ihres zur Schau getragenen Preußen- 
hasses den preußischen Cultusminister Herrn von Mühler mit 
einer geduldigen Sympathie erfüllte. 
Der Kurfürst hatte gleich nach der Annexion, um sich 
mit dem Könige über die Erhaltung seines Privatvermögens
	        
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