Der Konferen zvorschlag 110
Verständigung, die nicht auf Tatsachen, sondern auf diplomatischem
Schöntun beruhte.
Noch am 9. Juli hatte man im Auswärtigen Amt die nüchterne An-
sicht vertreten, England würde sich wohl, wenn wider alles Erwarten die
Erhaltung des Weltfriedens nicht gelänge, sofort auf die Seite unserer
Feinde schlagen, ohne den Verlauf des Krieges abzuwarten. Die fried-
liche Haltung des Foreign Office in den folgenden Wochen täuschte aber
den Bethmannschen Kreis mehr und mehr. Als nach der Überreichung
des Ultimatums der warnende Ausspruch Greys bekannt wurde: „Die
Lage wäre doch recht gefährlich, es könnte leicht ein Krieg der vier
Großmächte daraus entstehen,“ da preßten die Gelehrten der Wilhelm-
straße aus diesem Satz die Zuversicht, Grey hätte ausdrücklich betonen
wollen, daß für die fünfte Großmacht, England, keine Kriegsgefahr
bestünde! Jagow, Stumm und andere bestärkten den Kanzler in solchen
unbegründeten Vorstellungen. Es gelang, auch den Kaiser in ihnen zu
erhalten. Als am 25. Juli die in Norwegen befindliche Flotte den Be-
fehl zur Heimkehr erhielt, wollte der Kaiser sämtliche Großkampfschiffe
in die Ostsee schicken. Das Auswärtige Amt wünschte Ähnliches, um
England nicht zu reizen. Der Kaiser aber hat sich damals dem Flotten-
chef gegenüber schroff dahin ausgesprochen, an der friedlichen Haltung
Englands wäre ein Zweifel nicht erlaubt. Deshalb müßte die ganze Flotte
in Bereitschaft gegen die Russen gehen. Nur technische Gründe veranlaß-
ten ihn, zuzustimmen, daß ein Teil der Flotte nach der Nordsee ginge.
Ich muß gegen das britische Kabinett den schweren Vorwurf erheben,
daß es, obwohl es die Friedensliebe Bethmanns wie auch seine Art
genau kannte, durch Unklarheiten über Englands Verhalten in der Krisis
eine große Schuld am Kriegsausbruch auf sich geladen hat, selbst wenn
man annehmen will, daß das englische Kabinett in jenem Fall wirk-
lich den Frieden zu Anfang noch wollte und nicht etwa schon zu
Anbeginn den Hintergedanken hatte, Bethmann auf den bereit-
gehaltenen Spieß auflaufen zu lassen. Grey hätte den Frieden
erhalten können, wenn er Bethmann rechtzeitig die Stellung Englands
klargelegt hätte für den Fall, daß der serbisch-österreichische Konflikt
zu europäischen Weiterungen führen sollte. Daß er dies unterlassen hat,
wirkt um so befremdlicher, als im Juli 1911 Aoyd George im Auftrage
des Kabinetts mit einer öffentlichen Drohung nicht gezögert hatte,
obwohl damals die Lage bei weitem nicht so zugespitzt gewesen war.