Full text: Tirpitz, Erinnerungen. Volksausgabe.

Ungeeignete diplomatische Methoden 125 
Auswärtigen Amt damals die Vermutung, es wäre den Osterreichern 
lieber gewesen, wenn wir ihnen die Bundeshilfe gegen Serbien ver- 
weigert hätten. Unsere Bundesbrüder wüßten so wenig, was sie wollten, 
daß sie jetzt bei uns angefragt hätten, was sie eigentlich von den Serben 
verlangen sollten. 
Dieser Eindruck war so wohl kaum richtig. Er zeigte aber, wie wenig 
man in Berlin damit rechnen durfte, daß Österreich in der von ihm 
selbst zur Rettung seiner Ehre begennenen Aktion fest bleiben würde. 
Trotzdem verkannte der Kanzler, wie wenig beneidenswert seine Lage 
würde und wie ungeheuer seine Verantwortung vor der Geschichte, wenn 
er als Mann erscheinen wollte, welcher die Zukunft Deutschlands der 
Wiener Regierung ohne weitere Kontrolle überließ. 
Diese Haltung mußte unsere Politik um den ihr von Friedrich d. Gr. 
und Bismarck erworbenen Ruf der Aufrichtigkeit bringen. Auch die Ver- 
trauenswürdigkeit ist ein Stück Macht, das teuer gehütet werden will, 
und es ist eine merkwürdige Erscheinung, daß Politiker mit geringem 
Verständnis für reale Macht meist auch keinen feinen Sinn für die 
Unwägbarkeiten des Prestiges haben. Als Greys Konferenzvorschlag 
eintraf, glaubte Bethmann seine Stellungnahme festhalten zu müssen, 
und so lehnte er den Vorschlag ab, d. h. er blieb bei jener Erklärung der 
„Nichteinmischung“ in die österreichische Sache, wodurch der entschei- 
dende Augenblick einer möglichen Friedensaktion verloren ging. So 
konnte Österreich durch seine Kriegserklärung an Serbien (28. Juli) 
die Lage verschärfen, während die deutsche Politik festgebannt zwischen 
ihren selbstgewählten Schranken stand. 
Die Engländer mit ihrer kühlen Geschäftsart, Machtfragen zu dis- 
kutieren, konnten oder wollten Bethmanns anscheinendes Beiseitestehen, 
das tatsächlich die Lokalisierung des Streits und die Erhaltung des 
Friedens zwischen den Großmächten bezweckte, nicht begreifen. Ihrer 
eignen Denkungsweise lag es jedenfalls fern, anzunehmen, daß ein 
deutscher Staatsmann es für etwas Böses halten könnte, offen Öster- 
reich zu unterstützen und von deutschen Macht- und Prestigeinteressen 
zu reden. Sie merkten, daß die deutschen Diplomaten teils zu miß- 
trauisch, teils zu vertrauensselig waren. Zugleich sahen sie die gün- 
stige Gelegenheit zum Krieg heranwachsen. Wir boten der Entente 
mit den Widersprüchen unserer Einmarschpolitik die Handhabe, um 
uns des Präventivkrieges zu bezichtigen. Die schwere Anklage der
	        
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