Unsere Vorbereitung zum Kriege 127
Dabei hatte der Kanzler in seiner Scheu vor Klarheit den Ernstfall
so wenig vorbereitet, daß Gesamterwägungen zwischen den politischen
und militärischen Spitzen niemals stattgefunden hatten, weder über
die politisch-strategischen Probleme der Kriegsführung, noch über die
Aussichten eines Weltkrieges überhaupt. Auch über den Einmarsch
in Belgien, der, wenn er geschah, sofort maritime Fragen aufwarf,
bin ich niemals unterrichtet worden. Es scheint hier der Einwurf nahe-
zuliegen, ob ich nicht im Frieden meinerseits auf die Vorbereitung
einer Mobilmachung der gesamten Reichsleitung zu drängen in der
Lage war? Wer die Verhältnisse bei unsern damals regierenden Stellen
kennt, wird diese Frage nicht stellen. .
Die weltgeschichtlich schwerste Schuld Bethmann-Hollwegs liegt nicht
in seinen Schätzungsfehlern vom Juli 1914, sondern in den unter-
lassenen Rüstungen vorher, in den Jahren, als die gegnerische Koalition
alle ihre Kräfte sammelte und durch Kriegsvorbereitungen in ihren
festländischen Teilhabern den Entschluß stärkte, jede sich bietende Ge-
legenheit zum bewaffneten Kesseltreiben gegen Deutschland auszunützen.
Mit geringer Mühe und auf die Dauer kaum spürbaren Kosten
hätte das deutsche Volk vor dem Schlag dieses Krieges bewahrt
werden können, wenn die stete Sorge vor ihm auch zu den nötigen
Vorsichtsmaßregeln Anlaß gegeben hätte. Die Gefahr war da; die
Folgerungen aus ihr hätten gezogen werden müssen. Denn Frankreich
und Rußland waren in ihren Rüstungen bis an die Grenze ihrer
Leistungskraft gegangen, Frankreich sogar in gewissem Sinne darüber
hinaus. Deutschland und Österreich-Ungarn dagegen schöpften ihre Kräfte
nicht annähernd aus. Wie erklärt sich diese furchtbare Unterlassung,
die bei jedem national gefestigten Volk die schwerste Anklage
gegen die verantwortlichen Staatsmänner nach sich gezogen haben
würde?
Der Kanzler, unterstützt durch den Reichsschatzsekretär Wermuth,
hatte Angst vor dem Wort „Wettrüsten“. Er glaubte durch Zurück-
haltung in kriegerischer Bereitschaft dem Frieden zu dienen. Dadurch
sollte die Entente von unseren friedlichen Absichten überzeugt werden.
In Wahrheit wußte die ganze Welt, daß wir den Frieden zu erhalten
wünschten, erhob aber über unsere unzureichenden Wehrvorlagen ein
Entrüstungsgeschrei, wie es bei wirklich durchgreifenden Rüstungen
unserseits auch nicht größer hätte sein können. Durch die Unzu-