Full text: Tirpitz, Erinnerungen. Volksausgabe.

208 Schlußwort 
an das Staatsganze, nicht die in den Wolken schwebende Phrase der 
Völkerverbrüderung, die von den Angelsachsen so meisterhaft zur Kne- 
belung des deutschen Volkes verwertet wird. 
Meine Überzeugung war, daß die Sendung Deutschlands zum Besten 
Europas und der ganzen Welt noch nicht erfüllt war. Es war uns 
beinahe gelungen, Deutschland in die neue Zeit herüberzuführen. Eine 
schon beträchtliche Seemacht ergänzte im hohen Maße die Mittel, 
uns einen Frieden in Ehren zu erhalten oder, wenn unvermeidlich, 
einen Krieg doch leidlich zu bestehen. Sie bildete außerdem ein großes 
und notwendiges Organ, um unser Volk mehr an das Getriebe und 
den Geist der Welt heranzubringen. Wenn unsere zukünftige Ohn- 
macht zur See unseren Niedergang weiter verschärft haben wird und 
einen Wiederaufbau unmöglich macht, werden kommende Geschlechter 
sich dieser Gedanken vielleicht erinnern. 
Nachdem Frieden und Krieg, Macht und Ehre verloren, stehen 
nun die Schuldigen auf den Trümmern und fälschen die Geschichte, 
sie treiben unserem armen und politisch unbegabten Volk den Glauben 
an sich selbst und die Folgerichtigkeit seiner Geschichte aus, sie ver- 
lästern den alten Staat, seine Blüte und seine Leistungen, darunter 
vor allem jetzt seine Flotte, die in Wirklichkeit unser größter neuer 
politischer Trumpf war. Sie geben sich alle Mühe, den Faden zu zer- 
reißen, der uns mit der vergangenen Entwicklung verbindet. Der alte 
Staat war gewiß in mancher Beziehung verbesserungsbedürftig, er besaß 
aber volle Entwicklungsfähigkeit für die neue Zeit und die Bedürf- 
nisse unserer Kinder und Kindeskinder. Die Revolution warf aber 
alles über Bord, was uns groß gemacht hatte, sie war das größte 
Verbrechen an der Zukunft unseres Volkes. 
Der Zusammenbruch ist nicht unserem alten Staatssystem an sich, 
sondern seiner unzureichenden persönlichen Vertretung zuzuschreiben. 
Unsere Gesellschaft war zum Teil in ein schwaches Epigonentum ver- 
sunken; materialistische Gesinnung hatte sich ausgebreitet; der Einfluß 
des allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechts, welches immer 
dazu neigt, die Macht in Demagogenhände zu legen, war nicht mehr 
genügend ausgeglichen durch eine starke Regierung oder eine charakter- 
feste Oberschicht. So waren die Männer, die den Staat im Krieg 
vertraten, in der Regierung, im Bundesrat und im Reichstag nicht 
auf der Höhe ihrer Aufgaben. Hätte nur einer der gesetzgebenden
	        
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