Full text: Tirpitz, Erinnerungen. Volksausgabe.

Taktische Arbeit und Flottenpläne 35 
Versuch, eine sich nicht in eignen Siedelungskolonien, sondern in heimi- 
schen Werkstätten vermehrende Bevölkerung deutsch zu erhalten. 
Es war die Frage, ob wir nach der fast schon vollendeten Auf- 
teilung der Erde nicht zu spät daran wären; ob überhaupt jene Ent- 
faltung, der wir unsern Rang unter den Großmächten verdankten, 
künstlich und auf die Dauer unhaltbar wäre, ob dem raschen Aufstieg 
nicht ein furchtbarer Niederschlag folgen müßte. Die leicht zuzuschlagende 
„Offene Tür“ war für uns dasselbe wie für die übrigen Weltmächte ihre 
weiten Flächen und unerschöpflichen Naturschätze. Dies und dazu unsre 
eingezwängte und gefährdete festländische Lage bestärkte mich in der 
Überzeugung, daß keine Zeit zu verlieren wäre, um den Versuch der 
Seemachtsbildung zu beginnen. Denn nur eine Flotte, welche Bünd- 
niswert für andere Großmächte darstellte, also eine leistungsfähige 
Schlachtflotte, konnte unsrer Diplomatie dasjenige Werkzeug an die 
Hand geben, das, zweckentsprechend genützt, unsre festländische 
Macht ergänzte. Historisch interessant ist vielleicht, daß auch Prinz 
Friedrich Karl — der erste Soldat der Armee, wie ihn Caprivi bezeich- 
net — diesen Gedanken voll erfaßt und mir gegenüber ausgesprochen 
hat. Ziel mußte sein die Errichtung einer Mächtekonstellation zur See, 
die Schädigungen und Angriffe auf unsre wirtschaftliche Blüte unwahr- 
scheinlich machen und den trügerischen Glanz unsrer damaligen Welt- 
politik zu einer wirklich selbständigen Weltstellung umwandeln würde. 
Mitten in diese Zeit waren Jamesons Freischärlerzug gegen die 
Burenrepublik und die Krügerdepesche hereingepoltert. Der englische 
Ausbruch von Haß, Neid und Wut gegen Deutschland, welchen die 
Krügerdepesche auslöste, hat mehr als irgend etwas Anderes dazu 
beigetragen, breiteren Schichten des deutschen Volkes über unsre wirk- 
liche Lage und die Notwendigkeit des Flottenbaues die Augen zu öffnen. 
Während aber die deutsche öffentliche Meinung der Krügerdepesche 
zujubelte und sich in den nächsten Jahren in immer wiederholten Schelte- 
feldzügen gegen England Luft machte, hielt ich die Krügerdepesche selbst 
und alle später folgenden Herausforderungen Englands für bedauerlich 
und gefährlich. Es verriet sich in ihnen weitgehende Verkennung Eng- 
lands, seiner Macht und unsrer Ohnmacht. Der ohnehin schwierige, 
weil verspätet unternommene Versuch der Seemachtsbildung wurde da- 
durch weiter gefährdet, wenn auch Englands damalige Isolirung und 
seine eigenen Schwierigkeiten mit den Buren die Gefahrenzone, durch 
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