Leidenschaft galt es zu läutern und zu adeln: „Nicht die Gewalt
der Arme, noch die Tüchtigkeit der Waffen, sondern die Kraft des
Gemütes ist es, welche Siege erkämpft.“ Ein neues Geschlecht
soll erzogen werden fern von der Gemeinheit der Epoche, entrissen
dem verderbten Familienleben, erstarkend zu völliger Verleugnung
der Selbstsucht durch eine Bildung, die nicht ein Besitztum, son-
dern ein Bestandteil der Personen selber sei. In Pestalozzis Er-
ziehungsplänen meint Fichte das Geheimnis dieser Wiedergeburt
gefunden. War doch in ihnen der Lieblingsgedanke des Philo-
sophen verkörpert, daß der Wille „die eigentliche Grundwurzel
des Menschen“, die geistige Bildung nur ein Mittel für die sitt-
liche sei; gingen sie doch darauf aus, die Selbsttätigkeit des Schü-
lers fort und fort zu erwecken. Wenn die Stein und Hum-
boldt unbefangen den gesunden Kern dieser Pläne würdigten:
dem Philosophen war kein Zweifel, der Charakter der Pesta-
lozzischen Erziehungsweise sei — „ihre Unfehlbarkeit“; fortan sei
nicht mehr möglich, daß der schwache Kopf zurückbleibe hinter dem
starken. ·
Zu solchem Zwecke redet er „für Deutsche schlechtweg, von Deutschen
schlechtweg, nicht anerkennend, sondern durchaus beiseite setzend und
wegwerfend alle die trennenden Unterscheidungen, welche unselige
Ereignisse seit Jahrhunderten in der einen Nation gemacht haben“.
„Bedenket — beschwört er die Hörer —, daß ihr die letzten seid,
in deren Gewalt diese große Veränderung steht. Ihr habt doch
noch die Deutschen als Eines nennen hören, ihr habt ein sicht—
bares Zeichen ihrer Einheit, ein Reich und einen Reichsverband,
gesehen oder davon vernommen, unter euch haben noch von Zeit
zu Zeit Stimmen sich hören lassen, die von dieser höheren Vater-
landsliebe begeistert waren. Was nach euch kommt, wird sich an
andere Vorstellungen gewöhnen, es wird fremde Formen und einen
anderen Geschäfts= und Lebensgang annehmen, und wie lange
wird es noch dauern, daß keiner mehr lebe, der Deutsche gesehen
oder von ihnen gehört habe?“ — Auch den letzten kümmerlichen
Trost raubt er den Verzagten, die Hoffnung, daß unser Volk in seiner
11 H. v. Treitschke, Feldausgabe. 101