Full text: Auswahl für das Feld.

man in Berlin verbot, die Reden an die deutsche Nation aufs 
neue zu drucken. 
Mag es sein, daß Fichtes nervige Faust den Bogen zu heftig 
spannte und über das Ziel hinausschoß; in der Richtung nach dem 
Ziel ist sicherlich sein Pfeil geflogen. Die Zeit wird kommen, die 
Sehergabe des Denkers zu preisen, der Preußen die Wahl stellte, 
unterzugehen oder fortzuschreiten zum Reiche. Mag es sein, daß 
der verwegene Idealist oftmals abirrte in der nüchternen Welt der 
Erfahrung: — ein Vorbild des Bürgermutes ist er uns gewor- 
den, der lieber gar nicht sein wollte, als der Laune unterworfen 
und nicht dem Gesetz. Und auch das praktisch mögliche hat der 
Theoretiker dann immer getroffen, wenn er handelte von den sitt- 
lichen Grundlagen des staatlichen Lebens. Alle Vorwände der 
Zagheit, all das träge Harren auf ein unvorhergesehenes glück- 
liches Ereignis — wie schneidend weist er sie zurück, wenn er ver- 
sichert, keiner der bestehenden Landesherren „könne Deutsche machen“, 
nur aus der Bildung des deutschen Volksgeistes werde das Reich 
erwachsen. Wenn wir willig diesem Worte glauben, so hoffen 
wir dagegen — oder vielmehr wir müssen es wollen, daß ein 
anderer Zukunftsspruch des Denkers nicht in Erfüllung gehe. Schon 
einmal sahen wir ihn, nach der Weise der Propheten, sich täuschen 
in der Zeit: sechs Jahre schon nach den Reden an die deutsche 
Nation erhebt sich das Geschlecht, das er gänzlich aufgegeben. 
Sorgen wir, daß dies Volk nochmals rascher lebe, als Fichte meinte, 
daß wir mit eigenen Augen das einige deutsche Reich erblicken, 
welches er im Jahre 1807 bescheiden bis in das 22. Jahrhundert 
verschob. — Wieder ist den Deutschen die Zeit des Kampfes er- 
schienen; wieder steht nicht der Gedanke gerüstet gegen den Gedan- 
ken, nicht die Begeisterung wider die Begeisterung. Die Idee 
streitet gegen das Interesse, die Idee, daß dieses Volk zum Volke 
werde, wider das Sonderinteresse von wenigen, die an das nicht 
glauben, was sie verteidigen. Wenn die Langsamkeit dieses Strei- 
tes, der uns aus sittlichen noch mehr denn aus politischen Beweg- 
gründen zu den Fahnen ruft, uns oft lähmend auf die Seele fällt, 
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