Full text: Auswahl für das Feld.

meßlichen Kraft, einer lebendigen, unzerstörbaren Gemeinschaft des 
gesamten geistigen und wirtschaftlichen Lebens. Ein Volk in so 
beispiellos schwieriger Lage, so stark in seinem berechtigten Selbst— 
gefühl und so schwach durch seine jämmerliche Bundesverfassung, 
mußte notwendig in verworrene, ziellose Parteikämpfe, in alle 
Kinderkrankheiten des politischen Lebens verfallen. Im Ausland 
aber war unter Millionen nur einer, unser treuer Freund Thomas 
Carlyle, der in dem Wirrwarr unserer Parteiung den Adel der 
deutschen Volksseele liebevoll erkannte. Sonst stimmten alle über— 
ein in dem Gedanken, daß aus uns nichts werden dürfe, daß diese 
Mitte des Weltteils, auf deren Schwäche die alte Staatengesellschaft 
so lange beruht hatte, niemals erstarken solle. Wir waren den 
Fremden nur die lächerlichen festlustigen Sanges- und Schützen— 
brüder, und der deutsche Name Vaterland galt in England schlecht- 
hin als Schimpfwort. Als Preußen dann die alten Siegesbahnen 
des Großen Kurfürsten und des großen Königs wieder einge- 
schlagen, unsere Nordmark befreit und im Schlachtendonner von 
Königgrätz die Fremdherrschaft des Hauses Osterreich zertrümmert 
hatte, da blieb Europa noch weit davon entfernt, die neue Ordnung 
der deutschen Dinge anzuerkennen. Wir hatten vor Zeiten nach 
der Weltherrschaft des römischen Reiches getrachtet und waren dann 
durch die grausame Gerechtigkeit der Geschichte lange zu einem 
leidenden Weltbürgertum verurteilt worden, so daß unser Boden 
den Tummelplatz abgab für die Heere und das diplomatische Ränke- 
spiel aller Völker. Sollte das also bleiben? 
Was wir brauchten war ein ganzer, unbestreitbarer, allein durch 
deutsche Kraft errungener Sieg, der die Nachbarn zwang, die freie 
Mündigkeit dieser Nation endlich zu achten. Das hat König Wil- 
helm, der so oft seinem Volke das Wort von den Lippen nahm, 
recht begriffen, als er in seiner Thronrede sagte: „Hat Deutschland 
Vergewaltigungen seines Rechts und seiner Ehre in früheren Jahr- 
hunderten schweigend ertragen, so geschah es nur, weil es in seiner 
Zerrissenheit nicht wußte, wie stark es war.“ Wir waren längst 
nicht mehr das arme mißhandelte Volk von 1813, das seine Fahnen 
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