Full text: Deutsches Lesebuch. Zweiter Theil. Realienbuch. (2)

253. König Maximilian J. von Bayern. 301 
als zuvor, unter dem königlichen Purpurmantel. Darum 
ist er nie in ein Haus getreten und nie in eine Stadt, ohne 
die Liebe der Bewohner zu gewinnen, und es war die Lust 
und der Stolz seines Volkes, ihm Zeichen der Liebe zu 
geben. Ich habe gesehen, wenn er von einer Reise oder sonst 
in die Hauptstadt zurückkam, und der offene Wagen langsam 
durch das Gedränge fuhr, daß Männer und Weiber geringen 
Standes durch die jubelnde Menge brachen, um dem Könige 
die Hand zu reichen,, und er keine zurückwies, wie hart sie 
auch war. Gern mischte er sich unerkannt und unbegleitet 
unter das Landvolk und hörte auf die Reden der Leute und 
fragte sie aus; denn er wußte, daß er so die Wahrheit 
besser erführe, als aus Zeitungen, die Lob und Tadel nach 
den Launen ihrer Abnehmer ausstreuen. Oft, wenn er 
einsam ging und ein bekanntes Gesicht von weitem sah, 
rief er ihm ein freundliches Wort zu oder grüßte mit der 
Hand, und der Begrüßte fühlte sich geehrt und erzählte es 
den Seinigen wieder. Auch das erfreute alle Herzen, daß 
er ein so guter und liebevoller Hausvater war, seine Kinder 
immer gern um sich hatte und so häufig an der Seite seiner 
Gemalin auf einsamen Spaziergängen in vertraulichem Ge- 
spräche gesehen wurde. Sein Ausgang aus dem Leben war, wie 
er ihn selbst gewünscht hatte. Nur eine leise Ahnung von Un- 
wohlsein ging voraus; aber niemand war besorgt, so wenig als 
er selbst; kein Arzt ward gerufen; kein Diener wachte bei ihm. 
Am Morgen des 13. Okt. 1825, da er nicht zur gewöhnlichen 
Frühzeit aufstand, und der Diener ungerufen in das Schlaf- 
zimmer trat, fand er ihn todt, in derselben Lage, die er beim 
Niederlegen genommen hatte, ohne ein Zeichen des Schmerzes 
auf seinem Angesichte. Schlummernd war er durch die dunkle 
Pforte des Todes gegangen. Die Bestürzung des Volkes 
war groß, die Trauer allgemein. Es war die Wehklage 
verwaister Kinder um einen geliebten Vater — ein aufrichtiger 
Schmerz tiefer Liebe; und jede der zahllosen Thränen, die 
aus vollen Herzen um ihn flossen, war ein Opfer der Dank- 
barkeit und ein stummes Lob des unvergeßlichen Königs. 
Einige Zeit nach seinem Tode wurde nebst vielen andern 
Dingen auch die Menagerie verkauft, die er in Nymphenburg ge- 
halten hatte: viele seltene Thiere mannigfaltiger Art, auch über- 
seeische Papageien und Staare. Von den letztern waren schon 
alle verkauft; nur einer war noch übrig, der letzte und von 
unscheinbarem Aeußern. Still und mit struppigem Gefieder saß
	        
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