1. Buch. II. Der nationale Sedanke und die Parteien. 89
hat eine gleiche Organisationsfähigkeit wie wir, keines einen gleichen Willen zur
Disziplin, in gleichem Maße die Befähigung, sich den Gesetzen einer straffen Oiszi-
plin unterzuordnen. Dieser Begabung verdanken wir unsere besten Erfolge, unsere
brauchbarsten öffentlichen Institutionen. Der preußische Staat ist eine Schöpfung der
Disziplin, wie unsere Armee und unser Beamtentum. Was andere Völker im Feuer natio-
naler Begeisterung vermocht haben, das haben wir nicht selten durch die Kraft der Oiszi-
plin geleistet. Nach dem Kriege von 1866, der nicht populär war, in den die Truppen
nicht wie ein halbes Jahrhundert zuvor von patriotischer Begeisterung vorwärtsgetrieben
wurden, sondern den Marsch nach Böhmen in schweigender Unterordnung unter die Be-
feble der Heeresleitung antratten und unter dem Gesetz der Oisziplin so glorreich siegten
wie die Bäter mit der Schwungkraft des Enthusiasmus, schrieb ein Franzose bewundernd:
Oer böhmische Krieg habe gezeigt, was mit den Kräften der Oisziplin allein zu leisten wäre.
Ee ist eine der besten politischen Tugenden des Deutschen, daß er Disziplin im Leibe hat.
Aus dieser Tugend zieht freilich auch die Sozialdemokratie Autzen. Nur in einem Staats-
wesen, dessen Bürger an Oisziplin gewöhnt sind, die in der Armee widerspruchslos ge-
borschen gelernt haben, die starre Ordnung des Verwaltungsapparates täglich und stündlich
füblen, konnte eine Parteiorganisation von der Größe und Geschlossenheit der deutschen
Sozialdemokratie entstehen. Wie die 4216 Ortsvereine sich den 48 Landes- und Bezirks-
verbänden, diese sich dem Zentralverband fügen, wie die enormen Beiträge gezahlt
werden, als handele es sich um gesetzmäßige Steuern, wie die Versammlungen organi-
siert sind, wie die Massendemonstrationen sich ordnen, als seien sie militärische Operatio-
nen: das alles ist nicht allein Produkt parteipolitischer Begeisterung, sondern auch des
dem Deutschen im Blute liegenden Oisziplingefühls. Kein Volk der Welt kennt oder hat
jemals eine gleiche oder ähnliche Parteiorganisation gekannt. Die Klubs der Jakobiner,
die sich auch wie ein Retz über Frankreich spannten, waren nur ein blasses Vorbild
unserer sozialdemokratischen Organisation. Die Provinzklubs folgten der Pariser Zentrale
nur, solange diese die Macht im Staat hatte und konnten später ohne Mühe auf einen
Wink der Direktorialregierung geschlossen werden. Das feste Gewebe der deutschen
sozialdemokratischen Partei würde sich so kurzerhand nicht zerreißen lassen.
Oer verstorbene Botschafter in Petersburg General v. Schweinitz sagte mir einmal:
„Es gibt nur zwei ganz vollkommene Organisationen auf der Welt: die preußische Armee
und die katholische Kirche.“ Soweit nur die Organisation in Frage kommt, könnte man
versucht sein, der deutschen Sozialdemokratie ein ähnliches Lob zu spenden. Zn einer
meiner Reichstagsreden — es war im Dezember 1903 — sagte ich in diesem Zusammen-
hange: „Wenn ich der Sozialdemokratie ein Zeugnis auszustellen hätte, so würde
ich sagen: Kritik, Agitation, Disziplin und Opferfreudigkeit la, positive Leistungen,
Klarheit des Programms Vb“. Diese sozialdemokratische Organisation steht unserem
bestehenden Staatsleben mit Bewußtsein feindlich gegenüber, sieht in dieser Feind-
schaft ihre bindende Kraft. Es ist nicht daran zu denken, sie mit dem Staate auszu-
söhnen und sie damit zugleich aufzulösen, indem man sie für einige Zeit an den Ne-
gierungswagen koppelt oder diesen oder jenen Herrn aus ihrer Mitte an der Leitung
teilnehmen läßt. Sie fühlt sich viel zu stark, um sich gleichsam als einen der Waggons
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