124 Innere Politik. I. Buch.
Die Schlagworte „Versöhnungspolitik“ und „Scharfmacherpolitik“, mit denen sich
die parteipolitischen Gegner und Freunde einer bewußten nationalen Ostmarkenpolitik
bedenken, bezeichnen die verschiedenen Phasen unserer preußischen Polenpolitik nur
oberflächlich. Das Ziel der preußischen Ostmarkenpolitik ist stets das der Versöhnung der
Staatsangehörigen polnischer Nationalität mit dem preußischen Staat und der deut-
schen Nation gewesen. Es kann sich immer nur um verschiedene Mittel handeln, mit
denen die Versöhnung erreicht werden soll. Um etwas anderes hat es sich niemals
gehandelt, mögen nun Zerboni, die Ratgeber Friedrich Wilhelms IV. und Caprivi
oder Flottwell, Grolmann, Bismarck, Miquel und meine Wenigkeit unserer jeweiligen
Ostmarkenpolitik den Charakter bestimmt haben. Eine Aussöhnung unserer polnischen
Mitbürger mit ihrer Zugehörigkeit zum preußischen Staat und zum Deutschen Reich,
das muß am letzten Ende einmal durch unsere Ostmarkenpolitik erreicht werden. Nur
darf diese Aussöhmung nicht gehen auf Kosten unseres nationalen Besitzstandes im
Osten und auf Kosten der Einheit, der Souveränität des preußischen Staates.
Selten ist ein Staat den in seinen Grenzen lebenden Angehörigen einer anderen
Nationalität vorurteilsloser und wohlwollender gegenübergetreten als Preußen seinen
Polen im zweiten und dritten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts. Oie Segnungen der
Stein-Hardenbergischen Reformen wurden den Polen in vollem Umfange zuteil, ein
landwirtschaftlicher Kreditverein half der nach den Kriegen tief darniederliegenden
polnischen Landwirtschaft, ein Provinziallandtag in Posen sorgte für Vertretung der
örtlichen polnischen Interessen, die Landräte durften gewählt werden und wurden
polnisch gewählt, ein polnischer Statthalter wurde dem preußischen Oberpräsidenten
zur Seite gesetzt. Die Quittung war der Aufstand des Jahres 1830. Preußen hatte
nicht nur ohne jeden Erfolg seine Polen heiß umworben. Es hatte mehr getan, hatte den
Polen der Ostmark zuliebe die Sorge um die ostmärkischen Deutschen vergessen, indem
es dieses deutsche und polnische Land unter eine rein polnische Verwaltung gegeben hatte.
Die Männer, die von 1830 bis 1840 in Posen wirkten, der Oberpräsident v. Flott-
well und der kommandierende General v. Grolmann besannen sich wieder der deutsch-
nationalen Pflichten Preußens im Osten. Es begann die zweite Phase der Ostmarken-
politik, die wieder anknüpfte an die nationalen Traditionen des Mittelalters, an die
Politik des großen Königs und die der Ostmarkenpolitik Bismarcks und meiner Ost-
markenpolitik die Wege gewiesen hat. Der polnische Statthalter verschwand, die Auf-
hebung der Landratswahl gewährte die Möglichkeit der Bestellung deutscher Beamter
und es wurde, den kargen Staatsmitteln entsprechend bescheiden, mit dem Ansetzen
deutscher Gutebesitzer in den Ostmarken begonnen. Die Flottwellsche Politik hatte so
wenig wie die später auf seinen Bahnen fortgeführte Ostmarkenpolitik etwa einen
polenfeindlichen TCharakter. Sie war im Gegensatz zu der mißlungenen Politik zwischen
1815 und 1830 nur darauf bedacht, dem Deutschtum neben dem Polentum wieder zu
seinem Recht zu verhelfen, sie erinnerte sich der deutschen Pflichten, die Preußen mit
dem Erwerb der alten östlichen Kolonistenlande übernommen hatte. Was den Polen
genommen wurde, das waren in der Tat nicht staatsbürgerliche Rechte, sondern Vor-
rechte.
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