132 Schlußwort. I. Buch.
anderen Deutschland werden sahen, unter einem heldenhaften und staatsklugen Herrscher-
hause in Kämpfen und Entbehrungen die staatliche Zukunft Deutschlands vorbereitet.
Im Westen und Süden ODeutschlande ist der deutsche Geist gebildet worden, in Preußen
der deutsche Staat. Die Fürsten des Westens sind die Pfleger deutscher Bildung gewesen,
die Hohenzollern die politischen Lehr- und Zuchtmeister. Es hat lange gedauert, ehe man
in Deutschland die Bedeutung Preußens, an dem selbst Goethe nur den großen König
liebte, begriff, ehe man erkannte, daß dieser rauhe, durch und durch prosaische Militär- und
Beamtenstaat ohne große Worte aber mit desto größeren Taten ein deutsches Kulturwerk
ersten Ranges schuf, daß er die politische Kultur des deutschen Volkes vorbereitete. Der
preußische Staat ist für Deutschland geworden, was NRom für die antike Welt gewesen ist.
ODer geistig universalste und dabei preußischste der deutschen Historiker Leopold v. Ranke,
sagt in seiner Weltgeschichte, es sei die Aufgabe der antiken Welt gewesen, den griechischen
Geist mit dem römischen zu durchdringen. Die antike Bildung, in der das Geistesleben
Westeuropas mit allen seinen Wurzeln ruht, ist der Welt erhalten worden durch den Schutz
des Rechts- und Militärstaats Rom, der der alten Welt die politischen Daseinsformen gab.
Dem deutschen Geistesleben ist der preußische Staat Beschützer geworden dadurch, daß er
dem deutschen Volk die staatliche Einigung und die ebenbürtige Stellung unter den großen
Reichen der Welt schuf.
Wir haben durch die Reichsgründung ein nationales Staatsleben gewonnen. Unsere
politische Entwicklung hat damit einen neuen sicheren Weg betreten. Aber zum Ziele
gelangt ist sie noch nicht. Die Aufgabe, deren Erfüllung wohl begonnen, keineswegs aber
vollendet ist, muß sein die Einheit unseres geistigen und politischen Lebens, das heißt die
gegenseitige Durchdringung preußischen und deutschen Geistes. Das preußische Staats-
leben muß sich so mit dem deutschen Geistesleben, dieses sich so mit jenem aussöhnen,
daß beide ineinander verwachsen, ohne einander zu schwächen. Eine solche Aussöhnung
ist noch nicht erreicht. Noch sieht der Vertreter deutschen Geisteslebens gern im preußischen
Staate eine feindliche Macht, noch der Altpreuße bisweilen in der freien, durch keine NRegel
gehemmten Entfaltung des deutschen Geistes eine destruktive Kraft. Und immer wieder
kann man erfahren, daß in Parlament und Presse im Namen der Freiheit wider Preußen
und im Namen der Ordnung wider den nie zu bändigenden deutschen Geist geeifert wird.
Mein verstorbener Freund Adolph Wilbrandt läßt in einem hübschen Schauspiel einen
Beamten aus norddeutscher Adelsfamilie und die Tochter eines bürgerlichen Gelehrten
auftreten, die sich erst abstoßen und streiten. „Ich repräsentiere das Deutschland Schillers,
Goethes und Lessings“, sagt die Gelehrtentochter, und der Beamte erwidert: „Und ich
das Deutschland Bismarcks, Blüchers und Moltkes.“ Ahnliches hören wir oft von klugen
und ernsten Männern. Unsere deutsche Zukunft hängt davon ab, ob und wie weit es uns
gelingt, den deutschen Geist mit der preußischen Monarchie zu verschmelzen. In dem
Wilbrandtschen Stück kommt es schließlich zu Liebe und glücklicher Ehe zwischen dem
angehenden Staatsminister und der anmutigen Schwärmerin für Friedrich Schiller.
Es ist richtig, daß im außerpreußischen Deutschland auf Grund anderer politischer
Traditionen vielfach Auffassungen von staatlicher Herrschaft und politischer Freiheit
berrschen, die grundverschieden sind von denen, die gewachsen sind auf dem Boden preußi-
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