4 Staats- und Verwaltungerecht. II. Buch.
Bedeutung ist hervorzuheben: die Erwerbung von Helgoland. Die kleine Insel, den
Schlüssel der Elbmündung, in englischem Besitz zu wissen, war eine tiefschmerzliche
Empfindung für jedes deutsche Herz und ein Gefühl der Beschämung bei jedem Bilick
auf die Karte. Seit 1890 ist Helgoland kraft eines vom Reiche mit England abgeschlosse-
#nen Staatsvertrages deutsch; die Insel wurde dem preußischen Gebiete an- und dem
Provinzialverband von Schleswig-Holstein eingefügt und ist inzwischen durch starke Be-
festigungen zu einem gewaltigen Stützpunkte der deutschen Marine, insbesondere für
Untersee- und Torpedoboote, gestaltet worden. Zm Zusammenhang mit den großen
Grundfragen des Gebietsbestandes des Deutschen Reiches steht auch die Herstellung
des großen Seeweges auf deutschem Staatsgebiete, des Nordostseekanals — schon
unter Wilhelm I. — zur Verbindung von Ost- und Nordsee. Es besteht selbstverständ-
lich kein Zweifel, daß der Nordostseekanal, obwohl eine Fahrstraße von Meer zu Meer,
in vollem Umfange und in jeder Beziehung der deutschen Staatsgewalt unterliegt. Mit
großer Sorgfalt wurde der Nordostseekanal fortwährend verbessert, gesichert und er-
weitert.
2. Elsaß-Lothringen. Eine bedeutsame Veränderung hat die Reichsverfassung er-
fabren durch die Neugestaltung des elsaß-lothringischen
Staatsrechtes im Jahre 1911. Man ist berechtigt, den zusammenfassenden Gedanken
dieser Gesetzgebung mit dem Satze auszudrücken: Elsaß-Lothringen hat durch
diese Neugestaltung im wesentlichen den Charakter eines deutschen Einzel-
staates erhalten. Diese staatsrechtliche Neugestaltung ist das Ergebnis der Entwicke-
lung, die mit dem ersten Organisationsgesetz von 1871 einsetzte. Die Bevölkerung
Elsaß-Lothringens ist teils alamannischen, teils fränkischen Stammes, nur in einem
Bezirk Chateau-Salins) überwiegend (60 % ) französisch; das Land, einst durch Gewalt-
tat Ludwig XIV. von Deutschland losgerissen, ist seit 1870 wieder der deutschen Entwicke-
lung eingefügt, der es nach Geschichte und Bevölkerung angehört. Der Gedanke, das
wiedereroberte Land ganz oder in Teilen anderen deutschen Einzelstaaten einzuver-
leiben, blieb unausgeführt; die einheitliche staatliche Gestaltung des Landes unter
kaiserlicher Regierung durch das Organisationsgesetz von 1871 mußte mit Notwendig-
keit zur allmählichen Herstellung eines Einzelstaates Elsaß-Lothringen führen. Oiese
Entwickelung vollzog sich stufenweise: 1874 wurde das Land der Reichsverfassung und
dem Reichstag eingegliedert, seit 1877 hatte es eigene Volksvertretung im Landesaus-
schuß, seit 1879 eigne Landesregierung durch einen vom Kaiser ernannten Statthalter,
dem auch landesherrliche Machtbefugnisse durch den Kaiser übertragen werden konnten
und zu erheblichem Teile übertragen wurden. Durch Aupfhebung des sog. Oiktatur-
paragraphen 1902 gemäß höchstpersönlichem Eingreifen des Kaisers war das Prinzip
des Mißtrauens gegenüber dem Reichsland beseitigt worden.
Die Gesetzgebung von 1911 hat nunmehr, unter grundsätzlicher Aufrechterhaltung.
der Kaisergewalt als der landesherrlichen Gewalt (kraft reichsgesetzlichen Auftrages) eine
eigene Landeesgesetzgebung durch den Kaiser und einen aus zwei Kammern
bestehenden Landtag — unter Ausschaltung des Bundesrates —geschaffen und dem
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