II. Buch. Staats- und Verwaltungerecht. 5
Lande drei Stimmen im Bundesrate gegeben (RV. Art. 6 a). Der Umstand, daß
1. diese neue Verfassung durch Reichsgesetz geschaffen und nach wie vor vom Staatswillen
des Reiches beherrscht ist, 2. daß die Mitgliedschaft Elsaß-Lothringens im Bundesrat durch
das Reichsgesetz von Bedingungen (Fortbestand der Kaisergewalt und Stellvertretung
durch den Statthalter, der die Bevollmächtigten zum Bundesrat ernennt und instruiert)
abhängig gemacht ist, 5. daß die elsaß-lothringischen Stimmen im Bundesrat in gewissen
Fällen, nämlich a) bei Verfassungsänderungen und b) wenn von ihnen die Entscheidung
im Sinne der Präsidialmacht Preußen abhängen würde, nicht gezählt werden — macht
das staatsrechtliche Verhältnis Elsaß-Lothringens zum und im Reiche verwickelt und
schwierig. Da es nicht Aufgabe dieser Darlegungen sein kann, Kritik zu üben, sei hier
nur die Bemerkung beigefügt: für den regelmäßigen Gang des Staatslebens im Reiche
ist Elsaß-Lothringen heute Einzelstaat des Reiches mit drei Stimmen im Bundez#rat,
und es würde lediglich von der Einsicht der Elsaß-Lothringer selbst abhängen, daß die
oben gekennzeichneten Schranken dieser Stellung beseitigt und damit die volle „Auto-
nomie“, wie sie die übrigen Einzelstaaten im Rahmen des deutschen Reichsstaatsrechtes
haben, hergestellt würde. Daß dieser Rahmen für Elsaß-Lothringen eine endgültige
welthistorische und eine zweifellose rechtliche Tatsache ist, bedarf keiner Erörterung. —
Eine besondere Regelung hat für Elsaß-Lothringen die Verhängung des Belagerungs-
zustandes durch Gesetz von 1892 erfahren. Die Vorschriften dieses Gesetzes finden ihre
Kechtfertigung in den besonderen Verhältnissen des Grenzlandes.
3. Her Reichstag. Aufhebung Eine weitere Umgestaltung hat das Staaterecht
der SDiätenlosigkeit. des Reiches erfahren durch eine grundsätzliche Ver-
änderung der Grundlagen des Reichstages im Jahre
1906. Bei Aufrichtung des deutschen Gesamtstaates am 1. Zuli 1867 war die Vertretung
odes ganzen deutschen Volkes“ (K. A.r.tt. 29), der Reichstag, verfassungsmäßig, ebenso wie
das englische Parlament, auf dem Grundsatz der Diätenlosigkeit ausgebaut worden. Man
wünschte und hoffte, in diesem Grundsatze ein Gegengewicht gegen den Grundsatz des
allgemeinen und geheimen Wahlrechtes der Verfassung eingefügt zu haben. Diese
Hoffnung erwies sich als trügerisch und so wurde, insbesondere auch wegen der häufigen
und andauernden Beschlußunfähigkeit des Keichstags, im Jahre 1906, wie dies der Reichs-
tag selbst von Anfang an stets gefordert hatte, in Abänderung des Art. 32 RV., an Stelle
der Diätenlosigkeit eine durch das Reich festgesetzte und vom Reiche zu bezahlende Ent-
schädigung von 3000 Mark jährlich für die Mitglieder des Reichstages eingeführt, und
diese Entschädigung zugleich in zweckmäßiger Weise als eine Art Zwangsmittel für
den Besuch des Reichstages (Führung von Präsenzlisten und Abzug von 20 Mark bei
Lichtteilnahme an einer Sitzung) gestaltet. Daß diese Umgestaltung des Reichstags-
rechts von gutem praktischen Erfolge für die Teilnahme an den parlamentarischen
Arbeiten begleitet war, wird nicht geleugnet werden können. Ferner wurde den Mit-
gliedern des Reichstages kraft Gesetzes freie Eisenbahnfahrt auf allen deutschen Eisen-
bahnen während der Sitzungsperiode, also einschließlich der etwaigen Vertagungszeit,
gewährt.
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