1I. Buch. Auswärtige Politik. 13
Seiner Majestät dem Kaiser mit der Führung der auswärtigen Angelegenheiten be-
traut wurde.
Am 28. März 1897 hatte der Reichstag in dritter Lesung die Anträge der Budget-
kommission angenommen, die an den Forderungen der Regierung für Ersatzbauten,
Armierung und Neubauten beträchtliche Abstriche vornahmen. Am 27. November ver-
öffentlichte die Regierung, nachdem der bisherige Staatssekretär des Reichsmarineamts,
Admiral von Hollmann, durch eine Kraft ersten Ranges, den Admiral von Tirpitz, ersetzt
worden war, eine neue Marinevorlage, die den Neubau von 7 Linienschiffen, 2 großen
und 7 lleinen Kreuzern forderte, den Zeitpunkt für die Fertigstellung der Neubauten
auf den Schluß des Rechnungsjahres 1904 festsetzte und durch Begrenzung der Lebens-
dauer der Schiffe und die Bestimmung über die dauernd im Dienst zu haltenden Forma-
tionen die rechtzeitige Vornahme von Ersatzbauten sicherstellte. In der Vorlage hieß
es: „Unter voller Wahrung der Rechte des Reichstages und ohne neue Steuerquellen
in Anspruch zu nehmen, verfolgen die verbündeten Regierungen nicht einen uferlosen
Flottenplan, sondern einzig und allein das Ziel, in gemessener Frist eine vaterländische
Kriegsmarine von so begrenzter Stärke und Leistungsfähigkeit zu schaffen, daß sie zur
wirksamen Vertretung der Seeinteressen des Reiches genügt.“ Die Vorlage schob die
Flottenpolitik auf ein vollkommen neues Geleis. Bisher waren von Zeit zu Zeit einzelne
Neubauten gefordert und zum Teil bewilligt worden, aber das feste Fundament, das
die Armee im Sollbestand ihrer Formationen besaß, hatte der Kriegsmarine gefehlt.
Erst durch die Festsetzung der Lebensdauer der Schiffe einerseits, des Bestandes an
dienstfähigen Schiffen andererseits wurde die Flotte ein fester Bestandteil unserer natio-
nalen Wehrmacht.
Der Bau der deutschen Flotte mußte wie vor ihm andere große Aufgaben unserer
vaterländischen Geschichte mit dem Auge auf das Ausland durchgeführt werden. Es
war vorauszusehen, daß diese folgenschwere Verstärkung unserer nationalen Macht in
England Unbehagen und Mißtrauen hervorrufen würde.
ODie traditionelle Politik Englands. Die Politik keines Staates der Welt
bewegt sich so fest in traditionellen
Bahnen wie die englische, und gewiß nicht zuletzt dieser sich durch Jahrhunderte fort-
erbenden zähen Konsequenz seiner auswärtigen Politik, die in ihren Endzielen und Grund-
linien unabhängig vom Wechsel der Parteiherrschaft gewesen ist, verdankt England
seine großartigen weltpolitischen Erfolge. Das Alund O aller englischen Politik war
seit jeher die Erreichung und Erhaltung der englischen Seeherrschaft. Diesem Gesichts-
punkt sind alle anderen Erwägungen, Freundschaften wie Feindschaften stets zielbewußt
untergeordnet worden. Es wäre töricht, die englische Politik mit dem zu Tode gehetzten
Wort vom „perfiden Albion“ abtun zu wollen. In Wahrdheit ist diese angebliche Perfidie
nur ein gesunder und berechtigter nationaler Egoismus, an dem sich andere Völker,
ebenso wie an anderen großen Eigenschaften des englischen Volkes, ein Beispiel nehmen
können.
Während der zweiten Hälfte des 18. und der ersten des 19. Jahrhunderts stand
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