Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
26 Staats- und Verwaltungerecht. II. Buch. 
  
3. Seeschiffahrt. In umfangreicher Weise hat ferner das Reich einen besonderen 
Zweig des Handels, die Seeschiffahrt, geregelt; doch Hatten diese 
Dinge vor Aufrichtung des deutschen Gesamtstaates keine erhebliche allgemeine Be- 
deutung, indes ihre Bedeutung in dem und durch den deutschen Gesamtstaat, ganz 
besonders aber in den letzten Jahrzehnten durch die unmittelbaren Anregungen des 
Kaisers ins Unermeßliche gestiegen ist. Vorbildlich für die Gesetzgebung auf diesem 
Gebiete war die bewährte englische Gesetzgebung. 
Die Grundlage des heutigen deutschen Seerechtes bildet das Flaggengesetz, zuerst 
erlassen im Zahre 1868, in neuer Fassung ohne grundsätzliche Anderungen aus dem Zahre 
1899. Durch das Gesetz wird die Staatsangehörigkeit aller Schiffe der deutschen Handels- 
marine auf Grundlage der Verfassungsvorschrift, daß alle deutschen Kauffahrer eine ein- 
heitliche Handelsmarine bilden (N. Art. 54), festgestellt; das äußere Zeichen der Staats- 
angehörigkeit ist die deutsche Flagge und deren rechtliche Folge ist der Schutz durch das 
Deutsche Reich bis an die Enden der Erde (NV. Art. 3, Abs. 6). Das Gesetz beruht 
auf dem Grundgedanken, daß nur Schiffe, die im Eigentum von Oeutschen stehen, 
zur Führung der deutschen Flagge berechtigt sind; über alle deutschen Kauffahrer („zum 
Erwerb durch die Seeschiffahrt bestimmt") werden amtliche Verzeichnisse durch die See- 
mannsämter geführt. Bevor der Bau eines Schiffes erfolgt, müssen die Pläne nach 
Maßgabe der deutschen Schiffsvermessungsordnung (Fassung von 1895) hergestellt, amt- 
lich geprüft und genehmigt werden. Umfassende und auf Grund der Erfahrung wieder- 
holt abgeänderte Vorschriften hat das Reich erlassen über die Befähigung als Schiffs- 
führer, Steuermann, Lootsen und Maschinisten auf Dampfschiffen sowie über die Be- 
setzung von Kauffahrteischiffen mit Kapitänen und Schiffsoffizieren; durch strenge Be- 
stimmungen dieser Art wurde der deutschen Handelsmarine ein hervorragend ausge- 
bildetes Personal gesichert, das in Kriegszeiten zur Bemannung der Kriegsschiffe heran- 
gezogen werden kann. Eine besondere Lootsensignalordnung (1907) regelt den Lootsen- 
dienst. Das Gesetz über die Untersuchung von Seeunfällen ist bereits aus dem Jahre 1877; 
eine Neugestaltung ist in Vorbereitung. Behufs Feststellung einheitlicher Regeln 1. über 
den Zusammenstoß von Schiffen, 2. über Hilfsleistung und Bergung in Seenot waren 1910 
in Brüssel internationale Verträge abgeschlossen worden, die das Deutsche Reich 1913 in 
Kraft setzte. Die Rechtsverhältnisse der Mannschaften der Kauffahrteischiffe sind geregelt 
durch die große Seemannsordnung, die — erlassen 1872 — im Jahre 1902 eine völlige 
Neugestaltung, noch ergänzt durch mehrere seerechtliche Einzelgesetze und Berordnungen, 
so über die Besetzung von Seefischereifahrzeugen mit Schiffsführern und Maschinisten 
(1904/13), erfahren hat. Uber die gestrandeten Schiffe zu leistende Hilfe und die aus dieser 
Hilfe erwachsenden Rechtsansprüche bestimmt in eingehender Weise die Strandungs- 
ordnung (1902). Zur wissenschaftlichen Erforschung aller das Meer und die Meeres- 
schiffahrt betreffenden Verhältnisse und zu deren praktischer Autzbarmachung für Staats- 
und Handelsschiffe wurde in Hamburg 1875 die Seewarte eingerichtet und durch aus- 
gezeichnete Männer zu einem der ersten wissenschaftlichen Institute der Welt entwickelt. 
Endlich wurde noch in zahlreichen Handelsverträgen durch Vereinbarung über Einzel- 
punkte mit einzelnen Staaten das Interesse der deutschen Handelsseeschiffahrt in sorg- 
  
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