II. Buch. Staats- und Verwaltungerecht. 45
Für Beschulung blinder und taubstummer Kinder
erging 1911 ein besonderes Gesetz.
Daß das Schulwesen in seinen verschiedenen Graden und Arten einen der glän-
zendsten Zweige der preußischen Staatsentwickelung in Geschichte und Gegenwart
bildet, ist wohl im Auslande noch in viel höherem Maße anerkannt, als in Deutsch-
land selbst; als äußeres Zeichen dieser Wahrheit mag nur erwähnt werden, daß die
des Lesens und Schreibens unkundigen Personen aus dem Heere fast ganz verschwun-
den sind.
Blinde und Taubstumme.
Eine quantitativ überaus umfassende Tätigkeit hat die
preußische Gesetzgebung der letztvergangenen Zahrzehnte
entfaltet für das Gebiet der evangelischen Kirche in den mehrfachen Rechtsgestaltungen,
die diese Kirche in den verschiedenen Teilen des heutigen Staates Preußen darstellt.
Da auch die evangelische Kirche sich heute seit und kraft der Gesetzgebung der 70er
Zahre der verfassungsmäßigen Selbständigkeit gegenüber dem Staate, jedoch unter
Festhaltung des aus der Reformation historisch überkommenen landesherrlichen Kirchen-
regiments, erfreut, kann es sich bei der Staatsgesetzgebung in Dingen der evange-
lischen Kirche nur um äußere Angelegenheiten handeln. In Oingen der Verfassung
und Verwaltung erfolgten grundsätzliche Anderungen nicht. Ein neuer Gedanke
fand Aufnahme in das Verfassungerecht der beiden großen christlichen Kirchen in
der Form der Parochialverbände, d. i. der Zusammenfassung mehrerer Gemeinden
zu einheitlicher Verwaltungsgemeinschaft für bestimmte Zwecke (Bau von neuen Kirchen,
Anlage von Friedhöfen u. a. m.), insbesondre in großen Städten. Für die materiellen
Grundlagen der evangelischen Kirche wurden in sehr umfassender Weise staatliche Geld-
mittel bereitgestellt und ihre BVerwendung gesetzlich zuletzt im Jahre 1909 durch Pfarr-
besoldungsgesetze, Ruhegehaltsordnungen und Fürsorgegesetze für Witwen und Waisen
für die verschiedenen „Landeskirchen“ geregelt. Es bestand hierfür ein um so dringen-
deres Bedürfnis, als durch die neuere Kirchen- und Staatsgesetzgebung die sog. Stol-
gebühren für kirchliche Amtshandlungen grundsätzlich ausgehoben wurden. Gemäß dem
streng gewahrten Prinzipe der Parität erfolgte eine Neuordnung in analoger Weise
auch für die katholische Kirche. Weitere oder anderweitige gesetzliche Maßnahmen für
das Verhältnis von Staat und Kirche zu treffen, war im letzten Bierteljahrhundert
keine Veranlassung. An innerkirchlichen Schwierigkeiten fehlte es zwar weder in der
katholischen noch in der evangelischen Kirche, zu einem Eingreifen des Staates in diese
inneren Fragen des kirchlichen Lebens aber bestand keine Notwendigkeit; Staat und
Kirche lebten im ganzen in friedlicher, von gegenseitigem Wohlwollen getragener Ein-
tracht. Eine Reihe von rechtlichen Beschränkungen der sog. Altlutheraner wurde durch
ein Sondergesetz von 1908 aufgehoben. Das kirchliche Besteuerungsrecht fand durch
verschiedene Sondergesetze, so insbesondere auch für die katholischen Diözesen, durch
Staatsgesetze von 1903 und 1906 eine weitere Ausgestaltung.
Zm übrigen siehe die besonderen Kapitel dieses Werkes über die evangelische und
katholische Kirche.
2. Staat und Kirche.
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