Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
II. Buch. Die Selbstverwaltung. 57 
Maschinenbauräte, Verkehrsdezernenten, Stadtmedizinalräte und ähnliche Magistrats- 
mitglieder oder Beigeordnete neu hinzutreten. Das hatte dann wiederum, zumal 
bei der Kollegial - Verfassung die Folge, daß auch die Zahl der ehrenamtlichen 
Mitglieder entsprechend vermehrt werden mußte. So sind die Mitgliederzahlen der 
Verwaltungskollegien, zumal in den großen Städten, vielfach mehr gewachsen, als 
es im Interesse der Ubersichtlichkeit und einheitlichen Leitung der Geschäfte hier und da 
vielleicht erwünscht sein mochte. 
Erhöhte Anforderungen Daneben hat es der stetig an Umfang wie an innerer 
an das Ehrenamt. Bedeutung wachsende Beschäftigungskreis der Selbst- 
verwaltung mit sich gebracht, daß die Anforderungen 
an die Kraft und damit auch die Bereitschaft zu ehrenamtlicher Betätigung 
in ihr immer höhere geworden sind. Geht die Zahl der ehrenamtlich Tätigen schon 
in mittleren Städten oft in die Hunderte, so wächst sie in den großen Verwaltungen 
oft in viele Tausende, und weite Kreise werden vielleicht kaum eine richtige Vorstellung 
davon haben, wie unendlich groß die Opfer an Zeit und Kraft, ja an Geld und Gut sind, 
die tagaus tagein von vielen Tausenden in den verschiedensten Ehrenämtern der Selbst- 
verwaltung zum Besten der Allgemeinheit willig dargebracht werden. Und solche Tätig- 
keit beschränkt sich bekanntlich keineswegs mehr auf die Männer. In immer ausgedehn- 
terem Maße sind auch die Frauen zur ehrenamtlichen Mitarbeit herangezogen worden. 
In der Armen-, Waisen- und sonstigen Wohlfahrtspflege jeder Art, im Schulwesen, 
in Arbeitsämtern, Rechtsauskunftstellen, Wohnungsaufsicht und Wohnungspflege haben 
sie in den letzten Jahrzehnten in immer steigender Zahl zum größten Butzen der Ge- 
samtheit uneigennützig mitgewirkt und mit dazu beigetragen, den Schwierigkeiten zu 
begegnen, die sich hier und da wohl in der Gewinnung der erforderlichen Anzahl ehren- 
amtlicher Kräfte bemerkbar gemacht haben. Es ergaben sich solche einerseits begreif- 
licherweise aus der Fülle der Anforderungen, die zumal in den eigentlichen Vertretungs- 
körperschaften auch an das Ehrenamt gestellt werden müssen. Andererseits hat sicherlich 
auch die starke Verschärfung der Gegensätze im öffentlichen Leben manchen, an sich dazu 
Bereiten von der Annahme eines Ehrenamtes in der Selbstverwaltung abgehalten. Daß 
das vielfach zu beobachtende Hervortreten parteipolitischer Agitation, insbesondere das 
immer stärkere Eindringen der Sozialdemokratie in die Selbstverwaltungskörperschaften, 
mit der grundsätzlich völligen Kücksichtslosigkeit ihres Vorgehens in der Kritik wie im 
Drängen auf ihre Sonderziele, in solcher Rüchtung nicht gerade günstig gewirkt hat, 
wird nicht zu bestreiten sein. Solch“ ungünstiger Einfluß darf andererseits auch nicht — 
wie es leider infolge mangelnder näherer Kenntnis der Verhälltnisse vielfach geschieht 
— überschätzt werden. Mitarbeit an den Dingen des gemeinsamen Lebens, mit allen 
dem menschlichen Wesen nun einmal anhaftenden Unvollkommenheiten, hat noch mei- 
stens dahin geführt, auch mit diesem Leben rechnen zu lernen. Und daß nicht wenige 
fähige, auf manchen Gebieten auch zu gemeinnütziger Mitarbeit im allgemein bürger- 
lichen Sinne bereite Männer auch aus den Reihen der Sozialdemokratie in die Selbst- 
verwaltung hineingelangt sind, wird von den mit ihren Verhältnissen Vertrauten ge- 
  
  
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