Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
60 Die Selbstrerwaltung. II. Buch. 
leibliche wie geistige Pflege der früh den Gefahren des selbständigen Lebens ausge- 
setzten männlichen und weiblichen berufstätigen Zugend herausgebildet. Neben ihr aber 
ist, zumeist wenigstens unter Mithilfe, vielfach auf der Grundlage eigener Schöpfungen der 
Selbstverwaltung, durch gewerbliche Fachschulen aller Art — Baugewerks-, Hand- 
werker-, Maschinenbau-, Kunstgewerbe-, Keramische, Weberei- usw. Schulen — für die 
Hebung der wirtschaftlichen Tüchtigkeit aller erwerbenden Berufsstände des Volkes in 
immer weiterem Umfange gesorgt worden. Dazu kommen die mannigfachen sonstigen 
Einrichtungen zur Förderung von Wissenschaft, Kunst und geistiger Veredelung jeder 
Art, wie sie in Handelshochschulen, Akademien für praktische Medizin, Nahrungemittel- 
Untersuchungsämtern, Altertums-, Kunst- und kunstgewerblichen Museen, Theatern, 
Konzert- und Gesellschaftshäusern überall in mannigfachster Fülle erstanden sind, als 
böchst erfreuliches Zeichen einer immer reicher sich entfaltenden Kultur. 
Und dasselbe Bild des Sichdehnens und weitens in früher ungekanntem 
Maße weist uns ein Blick in das Gebiet des öffentlichen Bauwesens, 
dbes äußerlich vielleicht am meisten hervortretenden Schaffensfeldes der heutigen Selbstver- 
waltung. Hochbau und Tiefbau, Verwaltungs- wie Gartenbaukunst wetteiferten mitein- 
ander, alle Fortschritte der Architektur und Sfthetik, der Technik, der Gesundheitswissenschaft 
und des Verkehrswesens in den Oienst der selbstverwalteten Gemeinwesen zu stellen. 
Während es einerseits galt, durch öffentliche Bauten für die mannigfaltigsten Verwaltungs- 
zwecke den Stadtbildern bemerkenswerte, womöglich vorbildliche Züge einzufügen, stellten 
andererseits die durch die Anforderungen des Verkehrs und die Errungenschaften der Technik 
fortgesetzt verbesserten Arten der äußeren Einteilung, der Befestigung und Beleuchtung der 
öffentlichen Straßen und Plätze, wie die immer erhöhten Anforderungen der Gesundhbeits- 
wissenschaft an die Verbesserung der Straßenreinigung, der Trinkwasserversorgung, der 
Abwässerbeseitigung, die Organe der Selbstverwaltung vor technisch wie materiell immer 
gewaltigere Aufgaben. Dabei erwuchs ihnen vor allem die als immer wichtiger und 
dringender erkannte Aufgabe eines sachgemäßen Städtebaues: d. h. rechtzeitiger, weit- 
sichtiger Planung der ganzen, stetig fortschreitenden Stadtanlage bei zweckmäßigster Be- 
rücksichtigung aller örtlichen, gesundheitlichen, sozialen, ästhetischen, wie durch die Ver- 
kehrsentwickelung gegebenen Rücksichten. 
Bauwesen. 
Bodenpolitié. Als wesentlichste Grundlage dafür erkannte man an der Hand viel- 
facher Erfahrungen mehr und mehr die große Bedeutung einer 
zweckmäßigen Bodenpolitik, die einerseits der Gesamtheit durch hinreichenden eigenen 
Besitz von Grund und Boden möglichste Beweglichkeit in der Durchführung ihrer über den 
Tag binaus gesteckten Ziele sichern, amdererseits durch eine sachgemäße Heranziehung des an 
den Erfolgen der Gesamtheit wesentlich teilnehmenden privaten Grundbesitzes zur Min- 
derung der Lasten der Gesamtheit mithelfen soll. Daß sie auch für die die Jetztzeit in 
steigendem Maße beschäftigende Wohnungsfrage von wesentlichstem Einfluß ist, wird 
kaum mehr bestritten, wenngleich für letztere auch eine ganze Reihe anderweiter Voraus-- 
setzungen — kulturelle, Uimatische, industrielle, baupolizeiliche, städtebauliche und vor 
  
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