Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

62 Die Selbstrerwaltung. II. Buch. 
  
scheinen lassen, wenn auch in ihr die Fragen der Zentralisation und Dezentralisation, der 
Vereinfachung, wie der Beschleunigung der Verwaltung eine immer größere Bedeutung 
gewonnen haben. Denn wenn einerseits die endgültige Entscheidung aller wesentlichen 
Verwaltungsfragen bei den gesetzmäßig dazu berufenen, eigentlichen Vertretungskörper- 
schaften liegt, so ruht ihre Vorbereitung doch in der Hand einer mit der Vergrößerung des 
Kreises der Verwaltungsaufgaben stetig wachsenden Zahl von Sonder-Verwaltungs- 
stellen, den überwiegend aus ehrenamtlichen Mitgliedern bestehenden Deputationen, 
Kommissionen, Bürgerausschüssen u. dergl. Und ihnen hat wiederum das naturgemäß 
auch stetig wachsende Heer der Beamten alle notwendigen Vorarbeiten zu schaffen. — 
Es liegt auf der Hand, daß in der so begründeten Vielheit der Instanzen für den 
sach gemäßen Fortgang der Geschäfte eine gewisse Gefahr bureaukratischer Schwerfällig- 
keit besteht, und Klagen darüber sind keineswegs vereinzelt, auch oft durchaus begründet. 
Ihnen zu begegnen, ist in erster Linie Sache der leitenden Persönlichkeiten, und je größer 
die Selbstverwaltungskörper, um so mehr wird in ihnen von der Möglichkeit weitgehen- 
der Verselbständigung der nachgeordneten Verwaltungsstellen Gebrauch gemacht. Das 
wirksamste Mittel zur Abhilfe derartiger Schäden und Nachteile bietet aber in der Selbst- 
verwaltung unbestreitbar die, wegen der im allgemeinen überall möglichen Ubersehbar- 
keit der Verhältnisse, meist ebenso schnelle wie auch schonungslose Kritik der Offentlich- 
keit mit ihrem — um mit dem Freiherrn vom Stein zu reden — „aus der Fülle der 
Natur gewonnenen Reichtum von Ansichten und Gefühlen.“ — Am meisten vielleicht 
haben sich die der Selbstverwaltung innewohnenden Schwerfälligkeiten in ihren wirt- 
schaftlichen Betrieben bemerkbar gemacht. Ze wirtschaftlicher, d. h. kaufmännisch ge- 
schickter sie geführt werden müssen, um in dem allgemeinen scharfen Wirtschaftskampfe 
bestehen und mit dem rechten Autzen für die Gesamtheit betrieben werden zu können, 
um so mehr ergibt sich hier die Notwendigkeit schnellen, natürlich oft sehr verantwor- 
tungsreichen Entschlusses behufs Wahrnehmnang plötzlicher Wirtschafts-Konjunkturen, 
Sicherung neuester Erfindungen, Verlassen veralteter Betriebsarten, Gewinnung neuer 
aussichtsreicher Absatzquellen usw. Dazu kommen die nicht überall erfreulichen Erfah-- 
rungen in der Arbeiterfrage, die mit den wachsenden Arbeitermengen in den 
größeren Verwaltungen immer bedeutsamer wurde. Trotz der in den öffentlichen Betrieben 
wohl überall ständig gebesserten allgemeinen Arbeits- und Lohnbedingungen, der be- 
sonderen, meist über das gesetzliche und gemeinübliche Maß hinausgehenden Fürsorge in 
Krankheits- und Unglücksfällen, der Einführung regelmäßigen Erholungsurlaubes, von 
Kuhelöhnen und Hinterbliebenen-Versorgung in Ergänzung der reichsgesetzlichen In- 
validen- und Altersrenten blieben ihnen die Schwierigkeiten privater Arbeitgeber nicht 
erspart. Es kann aber nicht in Abrede gestellt werden, daß die Selbstverwaltung — und je 
größer ihre Arbeiterzahl ist, um so mehr — Arbeitseinstellungen gegenüber eine weit 
schwächere Stellung hat wie jeder private Arbeitgeber. Sowohl wegen der zumeist weiter- 
greifenden Wirkungen dadurch herbeigeführter Betriebsstockungen, als auch wegen ihrer 
viel schwierigeren Lage gegenüber dem Druck der öffentlichen Meinung. Das infolge 
einer Arbeitseinstellung erfolgende plötzliche Versagen der öffentlichen Beleuchtung, 
oder das Aufhören des Straßenbahnbetriebes wird bei der Allgemeinheit eine wesent- 
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