Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
68 Die Selbstverwaltung. II. Buch. 
deswegen besonders hervorgehoben werden, weil sie dem Gedanken der Selbstverwal- 
tung sehr sachgemäß Rechnung tragen. 
Indirekte Steuern. Daneben wurde die Erhebung indirekter Steuern 
überall so weit als möglich ausgebaut. Freilich setzte 
die Reichsgesetzgebung der steuerlichen Betätigung auf diesem Gebiete von jeher be- 
stimmte Grenzen, die durch die Vorschriften des Zolltarifgesetzes vom Dezember 1902 
leider noch enger gesteckt wurden. Es wurde dadurch den Gemeinden vom 1. April 1910 
ab die Möglichkeit der Abgabenerhebung auf Getreide, Hülsenfrüchte, Mehl und andere 
Mühlenfabrikate, desgleichen auf Backwaren, Bieh, Fleisch, Fleischwaren und Fett ge- 
nommen. Für eine große Anzahl deutscher, zumal west- und süddeutscher Städte war 
das eine recht empfindliche Beeinträchtigung ihrer Finanzgebarung. Hatten doch die 
sogenannten „Oktrois“ und „Schlachtsteuern“ stellenweise sehr erhebliche Prozentsätze 
des kommunalen Gesamtbedarfes aufgebracht, die nun anderweit und überwiegend durch 
direkte Steuern gedeckt werden mußten, da alle nur möglichen indirekten Abgaben natur- 
gemäß fast überall bereits erhoben wurden. Neben Bier-, Braumalz-, Schankkonzessions-, 
Luftbarkeits-, Billet-, Hunde- usw. Steuern sind unter ihnen insbesondere die Abgaben 
beim Wechsel des Grundbesitzes — Umsatz- und Wertzuwachssteuer — infolge der ge- 
steigerten wirtschaftlichen Entwickelung von erheblichem Einfluß für die Finanzen der 
Selbstverwaltung geworden. Es war deshalb überaus bedauerlich, daß auch hier seitens 
des Reiches gelegentlich der Finanzreform des Jahres 1909 durch den inzwischen glück- 
licherweise wieder beseitigten Versuch mit der Reichszuwachssteuer ein schwerwiegender 
Eingriff in die Gemeindefinanzen erfolgte. Er war um so bedauerlicher, als das Mißlingen 
dieses, von vielen Sachkennern von vornherein als verfehlt erachteten Versuchs für die 
Fortentwickelung der so recht eigentlich zur lokalen Ausbildung geeigneten Wertzuwachs- 
steuer durch die Selbstverwaltung, die damals gerade im besten Gange war, einen schwer 
wieder gutzumachenden Schlag bedeutete. Denn ihr an sich gesunder Grundgedanke 
wurde durch die im Verlaufe der gesetzgeberischen Beratung noch wesentlich verschlech- 
terte Form der Reichszuwachssteuer in seinem öffentlichen Ansehen so stark beeinträchtigt, 
daß seine weitere steuerliche Ausnutzung für die Selbstverwaltung jetzt eine wesentlich 
schwierigere Aufgabe bedeutet als vordem. 
  
Oirekte Steuern. Je mehr aber die Möglichkeit der Erhebung indirekter Abgaben 
eingeengt wird, in um so stärkerem Maße sind die Städte 
zur Ausnutzung der direkten Besteuerung genötigt, was weder in ihrem, noch 
auch des Staates wohlverstandenem Interesse liegen kann. Ihre beiden Formen, die 
Keal- und die Personalbesteuerung, bilden wie von jeher so auch jetzt unleugbar das 
Kückgrat der städtischen Finanzen. Von ihnen haben die Real- oder Objektsteuern 
— Erundbesitz- und Gewerbe-Betriebssteuer — in den letzten Jahrzehnten überall in 
Deutschland eine vermehrte Berücksichtigung erfahren, und neue Formen der Besteuerung 
dieser mit dem Wohl und Wehe der Städte am engsten verbundenen Besteuerungsgegen- 
stände haben sowohl zu einer größeren Ergiebigkeit, wie zu einer gerechteren Erschließung 
  
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