Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
11. Buch. Oie Neichsversicherung. · 77 
  
sondern sie haben sich auch qualitativ verzweigt und sind zu einer früher kaum ge- 
ahnten Bedeutung gelangt. So wird nach dem Gesetz zunächst Krankenhilfe gewährt. 
Sie umfaßt zweierlei: die Krankenhilfe und das Krankengeld. Jene beginnt mit 
der Krankheit, umfaßt unentgeltliche ärztliche Behandlung, Versorgung mit Arznei 
und lleineren Heilmitteln. Das Krankengeld wird im Falle der Arbeitsunfähigkeit 
gezahlt vom vierten Krankheitstage an — nicht sogleich, um etwaigen Simulations- 
absichten vorzubeugen (Karenzzeit); es beträgt für jeden Arbeitstag die Höhe des halben 
Grundlohnes, der in der Regel das durchschnittliche Tagesentgelt des Bersicherten ist. 
Die Krankenhilfe endet spätestens mit dem Ablauf der 26. Woche nach dem Beginn der 
Krankheit. Diese gesetzlichen Mindestleistungen werden aber durch freiwillige Mehrlei- 
stungen der Kassen erhöht. So kann die Dauer der Krankenhilfe satzungsmäßig bis auf 
auf ein Zahr erweitert, Fürsorge für Genesende durch Unterbringung in einem Ge- 
nesungsheim bis zur Dauer eines Jahres nach Ablauf der Krankenhilfe gestattet werden; 
nicht nur sogen. kleine, sondern auch größere Heilmittel und auch solche können wegen Ver- 
unstaltung und Verkrüppelung nach beendigtem Heilverfahren geboten werden, die be- 
stimmt sind, die #lrbeitsfähigkeit herzustellen und zu erhalten. Das Krankengeld kann 
bis auf ¾ des Grundlohnes erhöht, auch für Sonn- und Feiertage, die ja nur ausnahms- 
weise, z. B. beim Gastwirtsgewerbe, Arbeitstage sind, allgemein zugesprochen werden. 
Die Karenzzeit kann wegfallen, d. h. Krankengeld gleich vom ersten Tage der Arbeits- 
unfähigkeit unter gewissen Bedingungen gezahlt, es kann auch besondere Krankenkost 
geboten werden. # 
An Stelle der Krankenpflege und des Krankengeldes kann die Kasse Kur und Ver- 
pflegung in einem Krankenhause gewähren. Die Bedeutung der Krankenhauspflege 
wächst ständig mit der besseren Einrichtung unserer Krankenhäuser, mit der Einsicht, 
in vielen Fällen nur durch sie, nicht durch häusliche Behandlung Heilung erzielen zu 
können. Während der Bersicherte sich im Krankenhause befindet, sollen aber seine An- 
gehörigen möglichst vor Entbehrungen geschützt werden; ihnen ist deshalb ein Hausgeld 
im Betrage des halben Krankengeldes zu zahlen. Es kann sogar bis zum Betrage des 
gesetzlichen Krankengeldes erhöht werden. Umgekehrt kann auch die Krankenhaus- 
behandlung widerraten werden. Dann kann die Kasse im Hause mit Zustimmung des 
Versicherten Hilfe und Wartung durch Krankenpfleger, Krankenschwestern oder andere 
Pfleger gewähren. Dies namentlich dann, wenn die Aufnahme des Kranken in ein 
Krankenhaus geboten, aber nicht ausführbar ist oder ein wichtiger Grund vorliegt, den 
Kranken in seinem Haushalt oder in seiner Familie zu belassen. 
Neben der Krankenhilfe ist aber auch noch Wochenhilfe vorgesehen. In Frage 
kommt einmal das Wochengeld an versicherungspflichtige Wöchnerinnen in der Regel 
für 8 Wochen. Fakultativ kann die Kasse aber auch Kur und Verpflegung in einem 
Wöchnerinnenheim, Hilfe und Wartung durch Hauspflegerinnen, Hebammendienste und 
ärztliche Geburtshilfe zubilligen, nicht minder Schwangerschaftsunterstützung und Still- 
geld, lauter Maßnahmen, deren volkshygienische Bedeutung unverkennbar ist. Sodann 
können aber auch versicherungsfreie Ehefrauen von versicherten Männern Wochenhilfe 
erlangen. Endlich ist Sterbegeld beim Tode eines Versicherten in Höhe des zwanzig- 
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