Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
* Oie Reichsversicherung. II. Buch. 
  
fachen Grundlohnes vorgeschrieben; die Satzung kann es bis zum vierzigfachen Betrage 
erhöhen. 
Zn diesem rechtlichen Nahmen, dessen Weite freilich zum Teil erst das Verdienst 
der Reichsversicherungsordnung ist, haben die Krankenkassen eine unabsehbar reiche und 
segensreiche Tätigkeit entfaltet. Soweit nicht die geringe Mitgliederzahl und die dadurch 
meist bedingte bescheidene finanzielle Lage Hindernisse boten, haben sie die größten 
Anstrengungen gemacht, die freiwilligen Leistungen zu erhöhen. Die amtlichen Zahlen 
vermögen hier am besten eine Vorstellung zu gewähren. So sind für Krankenfürsorge 
folgende Beträge ausgegeben worden: 
1901 1911 1885—1911 
Arztliche Behandlung .. . .. 37 554 000 M. 87 979 000 M. 1 013 797 600 M. 
Arznei und Heilmittel. 28 554 O000 „ 556 632 400 „ 724 185 600 „ 
Krankengeld an Mitglieder. 81 295 800 „ 163 026 900 „ 2045 366 600 „ 
Krankengeld an Angehörige 1 724000 „ 6357 400 „ 51 590 800 „ 
Unterstützung an Wöchnerinnen, 
  
seit 1904 auch an Schwangere 2 619 500 „ 6 806 400 „ 76 985 500 „ 
Krankenhauspflege, Genesung 23 182 500 „ 59 178 000 „ 622 872 200 „ 
Sterbegedd. 5 530 900 „„ 9 318 300 „ 1 396 1856 00 „ 
Sonstige Leistunen 2715 900 „ 7758 500 „ 74 406 900 „ 
Summe der Entschädigungelei- 
stunen 183 174 400 M. 397 056 900 M. 4748 821 800 M. 
Im engsten Zusammenhang mit diesen Leistungen steht das nicht zu umgehende 
Problem der Arztefrage. Zwar ist es auch auf dem Gebiete der Unfall-, Invaliden-, 
Hinterbliebenen- und Angestelltenversicherung von größter Bedeutung; am meisten 
brennend ist es aber in der Krankenversicherung geworden und geblieben. Es kämpfen 
im wesentlichen zwei grundverschiedene Meinungen miteinander und wirken sich in 
praktischen Kämpfen aus. Die eine, im wesentlichen von den Krankenkassen vertreten, 
wünscht die Arzte in einer vertraglichen, individuellen Abhängigkeit von der Kasse. Die 
Durchführung der Krankenversicherung ist ohne die ärztliche Mitwirkung schlechter- 
dings undenkbar, während andererseits die Kassen gesetzlich zu bestimmten Leistungen 
verpflichtet sind, die Arzte aber nach der Gewerbeordnung zu einer Ausübung ihres 
Berufes nicht gezwungen werden können. So stehen die Träger der Krankenversicherung 
in der Hauptsache auf dem Standpunkte, daß dieser innere Widerspruch durch spezielle 
vertragliche Bindung der Arzte gelöst werden müsse. Andererseits behaupten die nun- 
mehr in dem Leipziger Verband zur Vertretung ihrer wirtschaftlichen Interessen ver- 
bundenen Arzte, daß die Abhängigkeit bei dem Kassenarztsystem vielfach unwürdige 
Formen annehme, die Standesehre verletzt werde und die Honorare vielfach einen 
Tiefstand erreichten, der zu einem Kampfe gegen die Krankenkassen verpflichtet. Das 
Ziel ist die Durchführung der sogen. beschränkt freien Arztwahl und der Abschluß der 
Verträge lediglich durch die Gesamtorganisation der Arzte, nicht durch den einzelnen, 
in seiner wirtschaftlichen Zsolierung schwächeren Arzt. Demgegenüber befürchten die 
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