Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
II. Buch. Die Reichsversicherung. 91 
  
anderem Zusammenhang gedachte Reichsversicherungsanstalt bildet kein besonderes selbst- 
ständiges Reichsamt, sondern ist dem Reichsamt des Innern untergeordnet. Insofern steht 
sie rechtlich genau so da wie das Reichsversicherungsamt und das Aufsichtsamt für Privat- 
versicherung. Sie ist eine öffentliche Behörde und rechtsfähig. Rechtsprechende Behörden 
in höherer Instanz sind die Schiedsgerichte, die den Oberversicherungsämtern in der 
Reichsversicherungsordnung entsprechen, und das Oberschiedsgericht, das etwa mit dem 
Reichsversicherungsamt verglichen werden kann. Zur Wahrung der Einheitlichkeit in der 
Rechtsprechung zwischen dem Oberschiedsgericht und dem Reichsversicherungsamt dient 
die Zuziehung zweier ständiger Mitglieder des letzteren zu den Sitzungen des Oberschieds- 
gerichts. Aber auch in dem Schiedsgericht ist das Laienelement vertreten. Außer dem 
Vorsitzenden und dessen Stellvertreter besteht es aus Beisitzern, die je zur Hälfte aus den 
Versicherten und aus den Arbeitgebern gewählt werden. Freilich sind nur Männer wähl- 
barz bei richterlichen Entscheidungen dürfen nur Männer mitwirken. Aber das aktive Wahl- 
recht der weiblichen Personen wird durch diese Bestimmung nicht berührt. Das Schieds- 
gericht ist aber keineswegs nur Spruch-, sondern auch Beschlußbehörde, insofern überein- 
stimmend mit der Struktur des Oberschiedsgerichts. In diesem müssen ebenfalls Beisitzer 
vorhanden sein, so daß auch hier die Mitwirkung von unmittelbaren Interessenten der 
Angestelltenversicherung in der obersten Spruch- und Beschlußbehörde offensichtlich ist. 
Dem Versicherungsamt kann man im wesentlichen den Rentenausschuß in der untersten 
Instanz vergleichen. Er ist Organ der Reichsversicherungsanstalt, öffentliche Behörde und 
hat eine Reihe von Obliegenheiten, die im Gesetz zerstreut geregelt sind. Insbesondere liegt 
ihm aber ob, Ruhegeld, Rente und Abfindung festzustellen und anzuweisen, Ruhegeld und 
Kente zu entziehen und einzustellen, Anträge auf Einleitung eines Heilverfahrens ent- 
gegenzunehmen, den Sachverhalt in diesen Fällen Uarzustellen, in Angelegenheiten der 
Angestelltenversicherung Auskunft zu erteilen. Diese letztere Aufgabe ist höchst bedenk- 
lich, da sie einer späteren Entscheidung entweder vorgreift, oder aber so nichtssagend und 
bedeutungslos, weil mit allem Vorbehalt abgegeben, ist, daß sie für die Anfragenden 
praktisch kaum Wert haben kann. Wie weit sich der Behördenorganismus der Angestell- 
tenversicherung praktisch bewähren wird, muß abgewartet werden. Zweifellos sprachen 
schwere Bedenken gegen die ODurchführung dieser Versicherung mit Hilfe der Träger 
der Znvalidenversicherung. Zu rechnen war auch mit den Forderungen der Angestellten, 
die ihren Beruf und ihre Stellung abgehoben wissen wollten von Beruf und Stand 
der Arbeiter im engeren Sinne, und die auch eine entscheidende Stimme in den Ange- 
legenheiten der Versicherung mit Recht begehrt haben. 
Das mehrfach gestreifte Organisationspro- 
blem bedarf aber, zumal bei seiner großen 
politischen Bedeutung, näheren Eingehens. 
Eine Scheidung nach den verschiedenen Versicherungszweigen ist hier unbedingtes Er- 
fordernis. In der Krankenversicherung fällt sogleich die Vielgestaltigkeit der Träger auf. 
Neben den Orts- gibt es noch die Land-, Betriebs-, Innungs-, Knappschafts-, Ersatz- 
kassen. Der Bersuch, einen einzigen Topus unter vorwiegender Verwendung der Formen 
Außere und innere Organisation 
insbesonders der Krankenkassen. 
  
  
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