Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
22 Auswãrtige Politik. 1. Buch. 
  
Ohne Ruhmredigkeit noch Ubertreibung kann gesagt werden, daß noch nie in der 
Geschichte eine Waffenmacht von so überlegener Stärke wie die deutsche in gleichem Maße 
der Erhaltung und Sicherung des Friedens gedient hat. Mit unserer über jeden Zweifel 
erhabenen Friedensliebe ist diese Tatsache nicht erklärt. Friedliebend ist der Deutsche 
stets gewesen und hat doch wieder und wieder zum Schwerte greifen müssen, weil er 
sich gegen fremden Angriff zur Wehr setzen mußte. Tatsächlich ist der Friede in erster Linie 
erhalten geblieben, nicht weil ein deutscher Angriff auf andere Nationen unterblieb, 
sondern weil andere Nationen die deutsche Abwehr des etwaigen eigenen Angriffs 
fürchteten. Die Stärke unserer Rüstung hat sich als ein Schutz des Friedens erwiesen, 
wie ihn die letzten bewegten Zahrhunderte nicht gekannt haben. Ein weltgeschichtliches 
Urteil liegt in dieser Tatsache. 
Die Ergänzung unserer Wehrmacht durch die Flotte bedeutet bei richtig geleiteter 
deutscher auswärtiger Politik eine vermehrte und verstärkte Friedensgarantie. Wie die 
Armee die mutwillige Störung der kontinental-politischen Wege Deutschlands verhindert, 
so die Flotte die Störung unserer weltpolitischen Entwicklung. Solange wir die Flotte 
nicht hatten, waren unsere gewaltig anwachsenden weltwirtschaftlichen Interessen, 
die zugleich unveräußerliche nationalwirtschaftliche Interessen sind, die freie Angriffs- 
fläche, die das Deutsche Reich seinen Widersachern bot. Als wir diese Blöße deckten, 
den Angriff auf das Reich auch zur See zu einem Wagnis für jeden Gegner machten, 
schützten wir nicht nur den eigenen, sondern mit ihm den europäischen Frieden. Um die 
Gewinnung von Schutzmitteln, nicht von Angriffsmitteln war es uns zu tun. Wir sind, 
nachdem wir in die Reihe der Seemächte eingetreten sind, auf den zuvor beschrittenen 
Bahnen ruhig weiter gegangen. Die neue Ara uferloser deutscher Weltpolitik, die im 
Auslande vielfach prophezeit wurde, ist ausgeblieben. Wohl aber haben wir jetzt die 
Möglichkeit, unsere Interessen wirksam wahrzunehmen, Ubergriffen entgegenzutreten 
und überall, vornehmlich in Kleinasien und Afrika unsere Stellung zu behaupten und 
auszubauen. 
Das Netz unserer internationalen Beziehungen mußte sich in dem Maße ausdehnen, 
in dem wir in unsere weltpolitischen Aufgaben hineinwuchsen. Fern gelegene über- 
seeische Reiche, die uns in der Zeit reiner Kontinentalpolitik wenig zu kümmern brauchten, 
wurden von größerer und größerer Bedeutung für uns. Die Pflege guter, wenn möglich 
freundschaftlicher Beziehungen zu ihnen wurde eine bedeutsame Pflicht unserer aus- 
wärtigen Politik. In erster Linie handelte es sich hierbei um die beiden neuen Groß- 
mächte des Westens und des Ostens, um die Vereinigten Staaten von Nordamerika und 
um Japan. Hier wie dort galt es, gewisse zeitweilige Trübungen zu überwinden, ehe 
an die Anbahnung freundschaftlicher Beziehungen gedacht werden konnte. 
Deutschland und die Vereinigten Staaten. Während des spanisch amerika- 
nischen Krieges waren in einem 
Teil der deutschen öffentlichen Meinung starke Sympathien für Spanien hervor- 
getreten, die in Nordamerika nicht angenehm empfunden wurden. Auch hatte die Art 
und Weise, in der ein Teil der englischen und amerikanischen Presse Zwischenfälle 
  
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