110 Finanzen und Steuern. II. Buch.
stark gewachsen; von Frankreich her drohte der Krieg; neue Heeresausgaben waren er-
forderlich. Schon 1886 war dem Reichstag der Entwurf eines Branntweinmonopols
und nach dessen Ablehnung zwei Entwürfe über Umgestaltung der Branntweinsteuer
zugegangen. Aber erst ein vierter Entwurf, der eine Branntweinverbrauchsabgabe in
Verbindung mit einer verbesserten Maischbottichsteuer zur Einführung bringen sollte,
aber einen sehr viel kleineren Ertrag in Aussicht stellte, fand die Zustimmung des Reichs-
tages. Zmmerhin wurde dadurch die bestehende ungenügende Branntweinbesteuerung
zweckentsprechender weitergebildet und deren Vereinheitlichung für das ganze Reich
erreicht. Die drohende Kriegsgefahr vermochte den Reichstag auch zu einer Reform der
Zuckersteuer, die nun aus einer NRohmaterialsteuer in eine Fabrikatsteuer in Verbindung
mit einer abgeminderten Materialsteuer umgebildet wurde.
Das Steuerwesen von 1888—1906. Zur Zeit, als Kaiser Wilhelm II. die Re-
gierung antrat, schien das Ziel des Fürsten
Bismarck, das Reich finanziell auf eigene Füße zu stellen, trotz der Minderbewilligungen,
erreicht. Es kamen infolge der günstigen Wirtschaftskonjunktur fünf fette Jahre, in denen
den Einzelstaaten große Uberschüsse aus Reichsmitteln zuflossen, nämlich 597 Mill. S.
in den Zahren 1888—92. Aber der Segen war nicht von Bestand. Die Ausgaben waren
in unaufhörlichem Steigen begriffen und 1895 mußten die Bundesstaaten wieder um
30 Mill. M. mehr an Matrikularbeiträgen zahlen, als sie an Uberweisungen erhielten.
Bereits 1891 wurde eine Reform der Zuckersteuer im Sinne einer reinen Fabrikatsteuer
beschlossen, wobei sich freilich die Regierung mit einem niedrigeren Steuersatz als dem vor-
geschlagenen begnügen mußte. Da der Militärbedarf und die Reichszuschüsse zur Alters-
und Invalidenversicherung von 1889 neue Ausgaben und die neuen Handelsverträge
starke Mindereinnahmen an Zöllen in ATussicht stellten, die Schuldzinsen seit 1887 rasch
zunahmen, so mußte man neuerdings auf die Suche nach Einnahmen gehen. Nachdem,
wie üblich, weitergehende Vorschläge der Reichsregierung abgelehnt worden waren,
wurde durch Erhöhung der Reichsstempelabgaben im Jahre 1894 dem augenblicklichen
Bedürfnis notdürftig genügt. Die in den Jahren 1895 und 1894 gemachten Versuche der
Reichsregierung, die ganz unzulängliche Tabaksteuer durch eine Fabrikatsteuer zu er-
setzen, und eine Weinsteuer einzuführen, scheiterten an dem Widerstande des Reichstages.
Das finanzielle Ergebnis der Bemühungen der Reichsregierung um Erschließung neuer
Einnahmequellen war demnach recht dürftig und würde nicht annähernd ausgereicht
haben, den Bedarf des Reiches zu befriedigen, wenn nicht die günstige Konjunktur der
1890er Jahre ein starkes Anwachsen der bisherigen Abgaben begünstigt hätte. Die Zoll-
erträge stiegen 1894—98 um etwa 100 Mill. M., der Ertrag der Zuckersteuer um nahezu
20, der Reichsstempelabgaben um 32 Millionen. Da auch die Posteinnahmen sich erhöhten,
so gelang es, nicht nur den inzwischen auf 976 Mill. M. angewachsenen Bedarf zu decken,
sondern auch 1895—98 durchschnittlich 15 Millionen pro Jahr an die Bundesstaaten zu Über-
weisen und sogar 143 Millionen für Schuldentilgung zu verwenden. Rein äußerlich betrach-
tet, sieht der Finanzzustand des Reiches um jene Zeit nicht ungünstig aus. Die Einnahmen
waren 1887—1900 von 309 auf 974 Millionen gestiegen; die Gliedstaaten hatten über
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