II. Buch. « Finanzen und Steuern. 111
500 Millionen Uberweisungen eingeheimst. Es scheint, als ob die Zurückhaltung des
Reichstages in der Genehmigung von Einnahmen berechtigt gewesen sei. Allein es
scheint nur so; denn zu gleicher Zeit ist die Reichsschuld von 139 auf 2223 Mill. M. ge-
stiegen. Und ein großer Teil der Schulden hätte nach gesunden Finanzgrundsätzen aus
laufenden Einnahmen bestritten werden sollen und auch können, wenn nicht die ver-
fehlte Uberweisungspolitik und die unkluge Sparsamkeit des Reichstags es vereitelt hätte.
Von 1899 ab gerieten die Finanzen des Reichs in immer größere Verwirrung.
Erhöhte Ausgaben für Stärkung der Seewehr führten zwar zur Einführung der Schaum-
weinsteuer und zur Erhöhung der Reichsstempelabgaben, allein die Einnahmen reichten
nicht aus zur Deckung des Bedarfs. Der stark schutzzöllnerische Zolltarif des Reiches ver-
sprach zwar neue Einnahmen; die Handelsverträge minderten jedoch das Erträgnis,
und zudem waren auf Antrag des Abgeordneten Trimborn zwei Drittel des Mehr-
ertrags der Lebensmittelzölle für die geplante Hinterbliebenenversicherung festgelegt
worden. Da die übrigen Einnahmequellen kaum zunahmen, so waren Defizite unver-
meidlich. Von Uberweisungen war keine Rede mehr, vielmehr mußten die Bundesstaaten
1899—1905 durchschnittlich 20 Mill. A. Matrikularbeiträge effektio leisten. Im Zahre 1903
betrug das Defizit 125 Millionen. Die Schuldenlast war in dieser Zeit um 800 Millionen
angewachsen. Die sog. kleine Finanzreform vom 15. Mai 1904, welche die Uber-
weisungen einschränkte und etwaige Uberschüsse zur Deckung des außerordentlichen
Bedarfs bestimmte, konnte mangels solcher Uberschüsse keine Abhilfe bringen. Aur
eine kräftige Steuervermehrung konnte sie schaffen.
Die sog. große Finanzreform des damaligen Reichsschatzsekretärs Freih.
v. Stengel vom ZLahre 1906 batte ein dreifaches Ziel: neue Einnahmen zu schaffen,
der Schuldenmehrung steuern und das finanzielle Verhältnis der Einzelstaaten zum Reich
fester abzugrenzen. Im ganzen war ein jährlicher Mehrbetrag von rund 250 Mill. M.
erforderlich, teils zur Beseitigung des ständigen Defizits, teils zur Verstärkung der Flotte,
zur Erhöhung der Friedenspräsenzstärke und der Militärpensionen, zur Entlastung des
Invalidenfonds und für andere Ausgaben. Zur Deckung war in Aussicht genommen:
Umgestaltung und Erhöhung der Brausteuer, Erhöhung der Tabaksteuer, Einführung einer
Zigarettensteuer, einer Steuer vom Fracht- und vom Reiseverkehr, einer Quittungs--,
Automobil- und Reichserbschafts- und Schenkungssteuer. Von diesen Steuern wurde die
Erhöhung der Tabaksteuer und des Quittungsstempels abgelehnt, die Brau- und die
Frachturkundensteuer erheblich abgemindert, die Steuer vom Reiseverkehr erhöht, die
Zigaretten-, Erbschafts- und Automobilfteuer im wesentlichen nach Antrag genehmigt
und aus eigener Znitiative des Reichstags eine Tantiemesteuer, Erhöhungen im Reichs-
stempelgesetz und des Ortsportos binzugefügt. Die Matrikularbeiträge sollten, soweit
sie 24 Mill. M. überstiegen, den Bundeestaaten auf drei Jahre gestundet werden. Diese
Reform fand ihren Niederschlag in verschiedenen Gesetzen vom 3. Juni 1906.
Die Finanzreformen von 1909 und 1913. Allein schon 3 Zahre darauf mußte man
zu einer neuen, noch größeren Fi-
nanzreform schreiten. Es war für die nächsten 5 Zahre ein Mehrbedarf von je 400—500
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