4 Das burgerliche Recht. III. Buch.
die unter dem Einflusse seiner machtvollen Persönlichkeit gelang. Napoleon war sich
nicht nur darüber Uar, wie groß der Wert eines einheitlichen Rechts für die Erziehung des
französischen BVolkes zu einem starken Nationalitätsbewußtsein sein mußte, sondern seine
Staatsklugheit führte ihn auch dazu, dieselben Kräfte in den von ihm eroberten Reichen
wirken zu lassen. Angesichts solcher Lehren der Geschichte ist es geradezu auffallend, daß
die Kompetenz des Reichs erst nach mehreren vergeblich gebliebenen Anträgen im Jahre
1873 auf das ganze bürgerliche Kecht ausgedehnt wurde. Man hatte noch nicht genügend
erkannt, daß nächst der Sprache das Recht eines der stärksten nationalen Bande ist.
Rechtseinheit und staatliche Einheit. Nechtseinheit und staatliche Einheit
stehen in Wechselwirkung. Zene steigert
die Festigkeit von dieser, weil sie das Gefühl der Zusammengehörigkeit vermehrt. Aber die
Rechtseinheit setzt die staatliche Einheit voraus. Deshalb hat das deutsche Volk jene erst
errungen, nachdem das Blut aller deutschen Stämme auf Frankreichs Schlachtgefilben
geflossen war. Die Sehnsucht nach einem einheitlichen deutschen Recht erwachte erfst,
als nach der Beseitigung der französischen Fremdherrschaft der Gedanke an eine engere
staatliche Einigung des deutschen Volkes die Gemüter der Patrioten zu bewegen anfing.
Der Ruf nach deutscher Kechtseinheit war aber im Grunde nur ein Ausdruck der Sehn-
sucht nach staatlicher Einigung. Aur Unreife des politischen Urteils konnte zu der
Einbildung führen, man könne jene ohne diese erreichen. ODie sog. bistorische Schule, die
unter Führung von Savigny dem von Heidelberg (Thibaut) ausgehenden Verlangen
nach einem deutschen bürgerlichen Gesetzbuch entgegentrat, mußte deshalb einstweilen
siegreich bleiben, so binfällig auch die Gründe waren, mit denen „der Beruf unserer
Zeit zur Gesetzgebung“ von Savigny (1814) bekämpft wurde. Sie waren hinfällig, wie
das unter dem großen König vollbrachte Gesetzgebungswerk gezeigt hatte und das Zu-
standekommen der musterhaft gearbeiteten Wechselordnung und des Handelsgesetzbuchs
nach wenigen ZJahrzehnten noch deutlicher zeigte.
Ein Reich, ein Recht! Dieses Ziel wurde auf dem Gebiete des Privatrechts erst
zum 1. Januar 1900 erreicht. Bis dahin waren hier nur einzelne Privatrechtsgesetze
erlassen. Sehen wir auf das Ganze, so kann man sagen: Erst das B#. erlöste uns aus
der bisherigen unseligen Zerrissenheit unserer Rechtszustände, die nur ein Spiegelbild
unserer staatlichen Zustände waren. Wie wir uns diesen in langer Entwicklung erst dadurch
entwanden, daß Preußen so erstarkte, daß unter seiner Führung das neue Reich gegründet
werden konnte, so mußte auch erst Preußen mit der Vereinheitlichung seines Rechts voran-
gehen, ehe wir zum deutschen Zivilgesetzbuch gelangen konnten. Aber auch in einer
andren Beziehung haben wir das Spiegelbild der staatlichen Entwicklung. Wie das Reich
die Eigenart und Selbständigkeit der Bundesstaaten nicht aufgehoben hat, so stellt das
B. zwar ein Gesetz dar, das den Deutschen das stolze Gefühl geben kann, nun endlich
ein gemeinsames Privatrecht zu haben; aber auch auf diesem Gebiet ist den deutschen
Eliedstaaten in gewissen Grenzen die Befugnis zur landesgesetzlichen Regelungge-
blieben. Soweit diese auf die örtlichen Verschiedenheiten Rücksicht zu nehmen hat, sind
die zugunsten der Landesgesetzgebung gemachten Vorbehalte zu billigen. Es st aber nicht zu
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