Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
III. Buch. Das bürgerliche Recht. 7 
  
sehr schnell gewachsenen internationalen Verkehrs dienen die Haager Abkommen von 
1902 über die Eheschließung, die Ehescheidung und die Altersvormundschaft. 
Außerordentlich umfangreich, für die Förderung 
der geistigen und wirtschaftlichen Kultur wichtig und 
für die Rechtsentwicklung der Neuzeitcharakteristisch 
ist die Tätigkeit der Gesetzgebung auf dem Gebiete des „geistigen Eigentums“ (so der früher 
übliche und inder Reichsverfassung Art.4 Nr. 6 gebrauchte Ausdruckh oder, wiemanneuerdings 
in der Regel zu sagen pflegt, des Urheber- und Erfinderrechts. Oie seit dem Anfang 
des 19. Jahrhunderts beginnende auf die Anerkennung dieser Rechte gerichtete Rechtsent- 
wickelung führte bereits im Zahre 1870 zum Erlaß des Bundezgesetzes über das Urheber-- 
recht an Schriftwerken, Abbildungen, musikalischen Kompositionen und dramatischen 
Werken; im Jahre 1876 folgten drei Gesetze zum Schutze der Werke der bildenden Künste, 
der Photographien und von Mustern und Modellen; das erste Patentgesetz wurde im 
Jahre 1877 erlassen. Der Geschichte der letzten 25 Jahre gehören die Revision und die 
Ergänzung dieser Gesetze an; sie geben ein eindrucksvolles Bild von der ungeheuren 
Bedeutung, die die geistige Arbeit in den letzten Jahrzehnten für die wirtschaftliche Blüte 
des deutschen Volkslebens und im internationalen Verkehr gewonnen hat. 
Im Jahre 1901 wurde das neue Gesetz über das Urheberrecht an Werken der 
Literatur und der Tonkunst erlassen; in engster Beziehung zu ihm steht das eine 
große Lücke im deutschen Recht ausfüllende Verlagsgesetz vom 19. Juni 1901. Oer 
Schutz der künstlerischen Tätigkeit wurde neu geordnet im Gesetz vom 9. Januar 1907 
betr. das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photo- 
graphie. Das Patentgesetz, das für die großen wirtschaftlichen Unternehmungen 
besonders wichtig ist, wurde im Jahre 1891 umgestaltet, wartet aber schon wieder 
auf eine Revision. Gewissermaßen eine Ergänzung des Patentgesetzes bildet das Gesetz 
vom 1. Zuni 1891 betr. den Schutz von Gebrauchsmustern; auch das für den ge- 
werblichen Verkehr wichtige Gesetz von 1894 zum Schutze der Warenbezeichnungen 
mag an dieser Stelle genannt werden. 
Alle diese Gesetze wollen dem geistigen Arbeiter die wirtschaftliche Ausnutzung seines 
Werkes garantieren. Indem sie dies tun, spornen sie nicht nur die geistige Tätigkeit an; viel- 
fach ermöglichen sie sie erst dadurch, daß nun der geistige Arbeiter sicher ist, die großen Aus- 
lagen, die die Arbeit oft erfordert, wiederzuerlangen, wenn sie Erfolg hat. Gesetze 
dieser Art genügen also nicht nur einem Gebote der Gerechtigkeit, sondern werden auch 
durch die Rücksicht auf die wirtschaftlichen Interessen der Gesamtheit gefordert. Aber 
noch ein andrer Gesichtspunkt kommt bei diesen Fragen in Betracht. Die geistige Schöpfung 
gehört dem Schöpfer an, er offenbart sich in ihr und bedarf des Schutzes dagegen, daß 
seine Individualität, sein Privatleben gegen seinen Willen an die Offentlichkeit gezogen 
wird. Dieses Schutzes bedarf er nicht nur, wenn sein Werk wirtschaftlichen Wert hat, so 
daß es in diesem Sinne schutzfähig ist, sondern auch und sogar noch mehr dann, wenn 
dies nicht der Fall ist, durch die Veröffentlichung aber (z. B. von Briefen, die nur über 
Privatangelegenheiten berichten und keinerlei literarischen Wert haben) schutzwürdige 
Gesetzgebung auf dem Gebiete 
des geistigen Eigentums. 
  
  
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