III. Buch. Das Strafrecht. 4
solchen Gedanken, deren Verwirklichung beinahe einhellig von der „öffentlichen Meinung“
verlangt wird, kann der Gesetzgeber unmöglich vorübergehen, selbst wenn er sich die
Bedenken nicht verhehlt, die gegen einzelne von ihnen erhoben werden können. Denn
das Recht soll der Ausdruck der überwiegenden Volksüberzeugung sein, und diese steht
jetzt unzweifelhaft auf Seiten jener Neuerungen. Schließlich ist diesen zum Teil durch
den bisherigen Rechtszustand auch schon vorgearbeitet, so der bedingten Verurteilung
durch die „bedingte Begnadigung“, die sich bewährt hat. Soweit Erfahrungen aber noch
nicht in gleichem Maße vorliegen, wird der Versuch mit dem allgemein Verlangten ge-
macht werden müssen. Die Zukunft wird dann lehren, ob das Nichtige getroffen ist.
Im übrigen enthält der Vorentwurf eigentlich nur eine Revision des geltenden
Kechtes auf dessen Grundlage. Aber sowohl die Tatbestände, wie die Strafdrohungen
bemüht er sich, freier und elastischer zu gestalten und die bisherige weitgehende Kasuistik
tunlichst zu beseitigen, ohne andererseits in den gegenteiligen Fehler zu großer Unbe-
stimmtheit zu verfallen. Eine überaus wichtige und wenn sie Gesetz wird, sicherlich
segensreiche Neuerung von allgemeiner Bedeutung bringt er in dem Abschnitt „Straf-
bemessung“ durch die Einführung von Sondervorschriften für „besonders leichte“ und
obesonders schwere“ Fälle. Niemals, auch bei sorgfältigster Formulierung der einzelnen
Tatbestände läßt es sich ausschließen, daß Fälle zur Aburteilung kommen, die nur äußer-
lich, nicht aber dem Geiste nach, unter das Gesetz fallen, Fälle, an die der Gesetzgeber
bei Bemessung seiner Strafandrohung nicht gedacht hat oder die er wegen ihrer eigen-
artigen, besonderen Lage nicht hat berücksichtigen können. Für diese Fälle kann auch
die leichteste gesetzlich für das in Betracht kommende Oelikt angedrohte Strafe zu hart
sein, beispielsweise, wenn dies nur Gefängnisstrafe mit Ausschluß milderer Strafarten
ist. Derartige Bestrafungen, deren Herbeiführung nach dem Legalitätsprinzip nicht
immer vermieden werden kann, haben schon öfters in der Offentlichkeit Anstoß erregt,
weil sie als unbillig empfunden wurden. Für solche Fälle trifft nun der Vorentwurf
Vorsorge, indem er in §& 83 bestimmt:
„In besonders leichten Fällen darf das Gericht die Strafe nach freiem Ermessen
mildern und, wo das auedrücklich zugelassen ist, von einer Strafe überhaupt absehen.
Ein besonders leichter Fall liegt vor, wenn die rechtswidrigen Folgen der Tat
unbedeutend sind, und der verbrecherische Wille des Täters nur gering und nach den
Umständen entschuldbar erscheint, so daß die Anwendung der ordentlichen Strafe des
Gesetzes eine unbillige Härte enthalten würde.“
Als Gegenstück kennt der Entwurf in §& 84 natürlich auch „besonders schwere“ Fälle.
Ein solcher liegt vor, „wenn die rechtswidrigen Folgen der Tat ungewöhnlich bedeutend
sind, und der verbrecherische Wille des Täters ungewöhnlich stark und verwerflich er-
scheint“. Aber während bei den besonders leichten Fällen die Milderung bei allen Arten
von strafbaren Handlungen einzutreten hat, sobald die Voraussetzungen des §& 83 Abf. 2
gegeben sindi), und während Art und Grad der Milderung ganz dem Ermessen des
Richters überlassen sind, darf ein „besonders schwerer“ Fall einen härteren Strafrahmen
1) Auch Verbrechen sind nicht grundsätzlich ausgeschlossen, und es muß zugegeben werden, daß auch bei
ihnen besonders leichte Fälle denkbar sind, wenn sie auch nur selten vorkommen werden.
297